chevron_left
chevron_right
News

Ignazio Cassis anlässlich des zweiten IC Forum

Die Rede von Bundesrat Ignazio Cassis anlässlich des zweiten IC Forum am 15. Februar 2023 in Genf.
EDA

«Jeder hat das Recht auf Bildung. Die Bildung muss auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und die Stärkung der Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten gerichtet sein», betonte Bundesrat Ignazio Cassis anlässlich des zweiten IC Forum am 15. Februar 2023 in Genf. Hier seine Rede:

Sehr geehrte Damen und Herren

Geschätzte Gäste

Sie erkennen hinter mir Artikel 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 (aus dem ich eben zitiert habe).

Ich finde diesen Artikel sehr wertvoll, da er einen Zusammenhang herstellt zwischen zwei Elementen, die in meinen Augen wesentlich sind: Bildung und Freiheit. Jeder Mensch – jedes Kind – hat das Recht auf Bildung, um seinen Lebensweg frei wählen zu können und um sich das nötige Rüstzeug zur Ausschöpfung seines Potenzials zu verschaffen. Ich bin überzeugt davon, dass der Erfolg und der Wohlstand der Menschen, hier und überall auf der Welt, von dieser Grundfreiheit abhängt.


Ausprobieren – Lernen – Weitergeben



In den liberalen Ländern folgt die Wissensvermittlung dieser Dynamik. Indem sie auf die Bildung setzen, haben diese Länder ihren Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit gegeben, frei und unabhängig zu sein sowie aufgeklärt am Wohlstand und am Fortschritt des Landes teilzuhaben.

Die Schweiz verkörpert dieses Modell: Unser politisches System schult und bildet seine Bürgerinnen und Bürger, überträgt ihnen Verantwortung und gibt ihnen das letzte Wort. So funktioniert unser Land. Und so funktioniert es ziemlich gut!

Leider sind wir beim Recht auf Bildung noch nicht dort, wo wir sein sollten und sein wollen.

Werte Zuhörerinnen und Zuhörer

Am heutigen Mittwoch besuchen in der gesamten Schweiz rund 900'000 Mädchen und Jungen den obligatorischen Schulunterricht.

An diesem selben Mittwoch gibt es weltweit 222 Millionen krisenbetroffene Kinder, die keinen regelmässigen Zugang zu schulischer Bildung haben.

Diese Zahl hat sich in den letzten fünf Jahren verdreifacht. Wir befinden uns in einer globalen Bildungskrise. Diese Krise geht alle an und ganz besonders uns, die wir im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit tätig sind.

Ohne Bildung keine Entwicklung!

Ich freue mich, dass Sie so zahlreich an dieser zweiten Ausgabe des IC-Forums teilnehmen, um sich über eine der grossen Herausforderungen der Entwicklungszusammenarbeit unseres Jahrhunderts auszutauschen. Der Name des Globalen Fonds der Vereinten Nationen für Bildung in Notsituationen und Langzeitkrisen sagt es sehr gut: «Education cannot wait» (Bildung kann nicht warten).

Ich freue mich, morgen die Gäste aus aller Welt hier zu empfangen. Gemeinsam mit unseren Partnern von Education cannot wait wollen wir uns für die Bildung, dieses wichtige Nachhaltigkeitsziel, starkmachen.

Sich für Bildung einsetzen heisst in die Zukunft investieren. Bildung ist einer der Hauptfaktoren für Wohlstand. Dank ihr können sich fragile Staaten erholen und in eine bessere Zukunft blicken.

Die Schweiz ist, wie Sie wissen, ein attraktives Land mit einem hohen Wohlstandsniveau.

Aber warum wird in dieses kleine Land ohne Bodenschätze und ohne Meerzugang investiert?

Weshalb wird in ein Land investiert, das im 19. Jahrhundert wirtschaftliche und gesellschaftliche Krisen, Armut und sogar Hungersnöte erlebte? Ein Land, in dem zahlreiche Bürgerinnen und Bürger gezwungen waren, in die neue Welt auszuwandern.

Warum zählt die Schweiz heute zu den innovativsten Ländern der Erde? Wir verdanken diese Innovationsfähigkeit der Tatsache, dass die moderne Schweiz seit ihrem Entstehen im 19. Jahrhundert der Bildung grossen Stellenwert beigemessen hat.

Die Attraktivität eines Landes hängt zu grossen Teilen vom Vorhandensein und der Qualität seiner Arbeitskraft ab. Wie Sie hinter mir erkennen können, haben jene Unrecht, die uns als «Steuerparadies» bezeichnen. Ja, die Schweiz ist ein Paradies, aber ein Bildungsparadies!

Unsere Hochschulen, aber auch unser duales Bildungssystem, welches Grundbildung und Berufsbildung kombiniert, geniessen überall grosse Wertschätzung und Anerkennung.

Sehr geehrte Damen und Herren

Der Staat muss das Recht auf Grundbildung aktiv durchsetzen. Es hat sich gezeigt, dass dies ein wirksamer Schritt weg von Unwissenheit und Unaufgeklärtheit ist. Und Sie werden es bemerkt haben, die dunklen Wolken haben sich bei Weitem noch nicht verzogen.

Die Lösungssuche ist jedoch nicht nur Sache der Staaten und internationalen Organisationen. Der Privatsektor und die öffentlichen Einrichtungen sind Teil eines Ganzen. Es liegt im Interesse aller, dass gut ausgebildete Arbeitskräfte verfügbar sind.

Es braucht Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Diplomatinnen und Diplomaten, Finanzfachleute, Vertreterinnen und Vertreter von Nichtregierungsorganisationen, Politikerinnen und Politiker sowie Menschenfreunde, um Lösungen zu finden, wie ein allgemeiner Zugang zu Bildung sichergestellt werden kann. Sie gehören zu diesen Personengruppen.

Darum geht es bei diesem Forum: Nachdenken und Handeln. Together different.

Ich bin überzeugt davon, dass wir in der Lage sind, unsere Fachgebiete einander gegenüberzustellen, uns auf gemeinsame Methoden zu verständigen sowie unser Know-how zusammenzubringen und es zu nutzen, um frühzeitig die künftigen Entwicklungen zu erkennen.

Gemeinsam haben wir die Diskussion eröffnet, um das Thema Bildung von allen Seiten zu beleuchten und neu zu denken. Es geht darum, gemeinsam die Bildung auf der ganzen Welt zu fördern.

Und wenn es uns nicht auf Anhieb gelingt? Dann müssen wir es weiter versuchen. Wie heisst es bei Samuel Beckett:

«Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better.»

Die Herausforderung ist gross. Aber lassen Sie uns nicht verzagen, denn es geht um unsere Zukunft!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.