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Korea: Die unbekannte Wirtschaftsmacht

Im Oktober 2020 wird die «Swiss Engineering Fachgruppe Elektronik und Informatik» neben Universitäten und Unternehmen auch geschichtlich wesentliche Orte in Korea besuchen. Die Studienreise erlaubt Einblicke in das Erfolgsmodell des Landes: Wie ist es diesem einstmals bitterarmen Agrarland gelungen, zur zehntgrössten Wirtschaftsmacht der Welt aufzusteigen?

1945, mithin nach dem Zweiten Weltkrieg, wurde Korea – ein damals von den Japanern besetztes Land – von den Siegermächten in zwei Einflusszonen aufgeteilt. Als Grenzlinie wurde dabei der 38. Breitengrad bestimmt. Bereits 1950 überfiel Nordkorea den Süden, worauf sich ein drei Jahre andauernder Krieg entwickelte. Zwei Mal fegte die Front über den Süden hinweg und hinterliess nur Trümmer.

 

Zweiteilung des Landes gilt als wirtschaftlich risikobehaftete Hypothek

In der Hauptstadt Seoul mit heute 10 Mio. Einwohnern, hat nur ein kleines Quartier tradi- tioneller Häuser (Hanok-Häuser) diese Invasion überstanden. Wonach die Amerikaner es zusammen mit der in Südkorea neu aufgestellten Armee schafften, die Nordkoreaner wieder hinter den 38. Breitengrad zurückzudrängen. Bis heute gilt die Zweiteilung des Landes als wirtschaftlich risikobehaftete Hypothek. Eine Wiedervereinigung nach dem Modell Deutschlands wäre mit grossen ökonomischen Risiken und finanziellen Lasten verbunden.

Noch 1960 war Südkorea eines der ärmsten Länder der Welt. Seither hat das «Wunder vom Hanfluss» den Menschen Wohlstand gebracht. Südkorea ist heute die Nummer 10 unter den grössten Volkswirtschaften der Welt. Etwa so gross wie Österreich oder Griechenland, aber bewohnt von fast 50 Mio. Koreanern, wobei die Hälfte im Grossraum Seoul lebt. Nur 2 % der Bevölkerung sind Ausländer. Es ist ein weithin unbekanntes Land, eine Hightech-Region zwischen der streng bewachten Demarkationslinie zum totalitären Nordkorea und der stürmischen Meeresgrenze zu Japan im Südosten. 2020 will Südkorea ganz an der Spitze stehen. Schon heute ist es die «most wired nation» mit 95 % aller Haushalte online, das «most innovative country», gemessen am Global Innovation Index (2009). Südkorea baut die meisten Schiffe, verfügt über Giganten wie Samsung und LG, und gibt prozentual am meisten Geld für Bildung, Forschung und Technologie aus.

 

Von Imitation zu Innovation

Der über Jahrzehnte hinweg autoritär geführte Staat förderte gezielt bestimmte Wirtschaftssektoren durch die Vergabe von Investitionsbeiträgen, steuerliche Erleichterungen und Export-Fördermassnahmen. Diese mit Steuergeldern finanzierten Beiträge gingen und gehen noch heute an wenige grosse, meist von Familien kontrollierte Firmen-Konglomerate (Chabol). Unternehmen wie Hyundai, Samsung, Doosan und andere sind auf diesem Wege entstanden. Die Förderung war abhängig vom Exporterfolg dieser Firmen.

Die Wettbewerbssituation hat dazu geführt, dass konkurrenzfähige Produkte entwickelt und am Markt verkauft werden mussten. Es genügte nicht zu kopieren oder Güter via ReEngineering herzustellen. Die gezielt staatliche Förderung erstreckte sich auf die Automobil-, Chemie-, Pharma- Telekommunikations- oder Schiffbau-Industrie. Diese risikoreiche Einflussnahme der Regierung in die wirtschaftliche Entwicklung, hat das Land zu einem der wichtigsten Player in den erwähnten Sektoren werden lassen. Nachdem Südkorea seine Agrarwirtschaft hinter sich gelassen hat, ist es heute mit einem BIP von 1720 Mrd. Dollar die zehntgrösste Wirtschaftsmacht der Welt.

 

Dynamisches Seoul und Songdo – Incheon City

Von den 51 Mio. Einwohnern Südkoreas ist die Hauptstadt Seoul mit 10 Mio. ansässigen Bürgern das wichtigste gesellschaftliche und wirtschaftliche Zentrum des Landes. Nur 40 Kilometer trennen die Metropole von der Grenze zum Norden. Weitere acht Millionenstädte widerspiegeln die aktuell dynamische Wirtschaftstätigkeit des Landes. Neben Seoul verfügt die im Süden gelegene Hafenstadt Busan über einen der weltweit grössten Container-Umschlagplätze und – unweit davon entfernt – Ulsan über die grösste Zahl an Trockendocks für die Schiffsindustrie.

Von Seoul ist man mit dem Hochgeschwindigkeitszug in drei Stunden im wirtschaftlich wichtigen Süden. Dem Besucher aus dem Westen fällt die unglaubliche Geschäftigkeit der Menschen auf. Alles ist in Bewegung und verfügbar. Die Rolltreppen fahren doppelt so schnell wie im Hauptbahnhof Zürich. Ein Ticket für den Schnellzug kann allerhöchstens einen Monat vorher gekauft werden, hingegen sind Hotelzimmer stets verfügbar. Als Besucher gewinnt man unmittelbar den Eindruck, dass diese Dynamik in wohlgeordneten Bahnen verläuft. Der Einfluss der Regierung in der Lenkung wirtschaftlicher Ausrichtung scheint aber nach wie vor enorm.

 

In Songdo entstehen Wohnungen und Arbeitsplätze für 250 000 Menschen

Seoul ist mittlerweile eine der teuersten Städte weltweit. Sauber, aufgeräumt und mit einer hervorragenden Infrastruktur sowie modernsten Hightech-Innovationszentren ausgestattet. Mit dem weltweit bekannten Stadtviertel Gangnam hat Seoul eine beeindruckende, mit breiten Strassen, hervorragendem öffentlichen Verkehr, Parks und Wohngegenden versehene Metropole kreiert und umgesetzt.

Songdo oder Incheon City entstand westlich der Hauptstadt Seoul auf sechs Quadratkilometern aufgeschüttetem Land. Bis Ende 2020 soll die Planstadt fertiggestellt sein. Dann soll sie Wohnungen und Arbeitsplätze für 250 000 Menschen bieten. Ein gigantisches Computernetzwerk soll das Hirn der neuen Stadt sein. Versorgung, Entsorgung, Transport und Energie können zentral gesteuert werden. Jeder Einwohner kann identifiziert und lokalisiert werden, Smart Cards sind Ausweis, Schlüssel und Geld zugleich.

Auch bei der Müllentsorgung hilft der Computer: Per Chip wird kontrolliert, wer wann welchen Müll einwerfen darf. Unterirdische Druckluftrohre transportieren die Abfälle zur zentralen Entsorgungsstation. Viele Apartmenthäuser werden mit über 200 Metern die höchsten Koreas sein: In Songdo entsteht das höchste Gebäude Koreas, der 67 Stockwerke umfassende «Northeast Asia Trade Tower».

 

Staatliche Lenkung, hierarchische Strukturen

Heute erwirtschaften 20 Unternehmen 57 % der Exporterträge: Eine Konsequenz aus der konstanten Förderung der Chabol-Konglomerate. Nur grossen Unternehmen hatte man zugetraut, beim Export in Weltmärkten mit neuen Produkten erfolgreich zu sein, die nicht bloss Kopien oder OEM-Produkte waren. Samsung, LG oder Kia bilden Beispiele für diese Entwicklung. Die Führung der aus Familienunternehmen hervorgegangenen Hersteller ist hierarchisch und gemäss für uns nicht immer einfach verständlichen Regeln gestaltet.

Es wird interessant sein, auf der einmaligen Studienreise zu erfahren, wie es oberste Führungskräfte mit der Delegation von Kompetenzen halten, wenn weniger wichtig erscheinende Entscheide vom obersten Management gefällt werden müssen. Wie lassen sich mit solchen Führungsgrundsätzen die ungeheure Dynamik und die zeitgerechte Entscheidungsfindung bewältigen? Denn wir im Westen bringen hierarchische Führung schnell in Verbindung mit interner Politik, Beamtentum und träger Entscheidungsfindung. Die inhaltliche Reiseleitung hat Prof. Dr. Patrick Ziltener, Universität Zürich, inne.

 

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