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Hitzeschäden lassen sich vermeiden

Wissenschaftler der Nagoya University in Japan entwickelten Materialien, die unter normalen Alltagsbedingungen mit einem kostengünstigen und industriell skalierbaren Verfahren gleichmässig in alle Richtungen schrumpfen. Dies eröffnet potenziell ein neues Paradigma der Wärmeausdehnungsregelung, das Elektronikgeräte widerstandsfähiger gegen Temperaturschwankungen macht.

 

Kunststoffbauteile und Leiterplatten sind hitzeanfällig

Ein Grund weshalb Hitze elektronische Geräte beschädigt, ist die Tatsache, dass sie die einzelnen Komponenten mit unterschiedlichen Geschwindigkeitsraten expandieren lässt. Die dabei entstehenden Kräfte verursachen dann gefährliche Mikrorisse und Verzerrungen. Kunststoffbauteile und Leiterplatten sind durch Volumenänderungen während der Heiz- und Kühlzyklen besonders anfällig für Schäden. Wenn jedoch ein Material in die Komponenten integriert werden könnte, das die Ausdehnung kompensiert, lassen sich die Stresszustände der Komponenten reduzieren und ihre Lebensdauer erhöhen.

Jeder kennt ein Material, das sich so verhält: Flüssiges Wasser dehnt sich beim Gefrieren aus und Eis zieht sich beim Schmelzen zusammen. Aber flüssiges Wasser und Elektronik mixen sich nicht gut – es wird ein Feststoff mit «negativer thermischer Ausdehnung» (NTE) benötigt. Obwohl solche Materialien seit den 1960er-Jahren bekannt sind, mussten eine Reihe von Herausforderungen gemeistert werden, bevor dieses Konzept allgemein nützlich und wirtschaftlich tragfähig sein kann.

 

NTE-Eigenschaft funktionierte nur einige Heiz- und Kühlzyklen

Sowohl materialtechnisch als auch funktional waren diese Bemühungen nur bedingt erfolgreich. Die Versuchsmaterialien wurden unter speziellen Laborbedingungen mit teuren Geräten hergestellt; und schon damals lagen die Temperatur- und Druckbereiche, in denen sie NTE aufweisen würden, weit ausserhalb der normalen Alltagsbedingungen. Darüber hinaus hing die Menge, in der sie sich ausdehnten und zusammenzogen, von der Richtung ab, die zu inneren Spannungen führte und ihre Struktur veränderten, so dass die NTEEigenschaft nicht länger als einige wenige Heiz- und Kühlzyklen überdauerte.

Einem Forschungsteam unter Leitung von Professor Koshi Takenaka von der Nagoya University ist es nun gelungen, diese materialtechnischen Herausforderungen zu meistern. Inspiriert von der Forschungsreihe von Professor Noriaki Sato, ebenfalls von der Universität Nagoya – dessen Entdeckung der Supraleitung in Quasikristallen im vergangenen Jahr vom Magazin «Physics World» als eine der zehn wichtigsten physikalischen Entdeckungen des Jahres angesehen wurde – untersuchte Takenaka das Samarium und sein Sulfid, Samariummonosulfid, das bekanntermassen die Phase von der «schwarzen Phase» in die kleinere «goldene Phase» überführt.

 

Negative Expansion ist faszinierende Eigenschaft

Das Problem war die Festsetzung des Temperaturbereichs, bei dem der Phasenübergang stattfindet. Die Lösung des Teams bestand darin, einen kleinen Teil der Samariumatome durch ein anderes Seltene-Erden-Element zu ersetzen, was Sm1-xRxS ergab, wobei «R» für eines der Seltene-Erden-Elemente Cer (Ce), Neodym (Nd), Praseodym (Pr) oder Yttrium (Y) steht. Der Bruchteil x, den das Team benutzte, betrug typischerweise 0,2, mit Ausnahme von Yttrium. Diese Materialien zeigten eine «riesige negative Wärmedehnung» von bis zu 8 % bei normalem Raumdruck und nutzbaren Temperaturbereichen (etwa 150 °C), auch bei Raumtemperatur und darüber. Cerium ist hier der Star-Kandidat, weil es relativ kostengünstig ist.

Die Art des Phasenübergangs ist so beschaffen, dass die Materialien in sehr kleine Kristallgrössen, etwa 1 µm Seitenlänge, gepulvert werden können, ohne ihre negativen Ausdehnungseigenschaften zu verlieren. Dies erweitert industrielle Anwendungen, insbesondere in der Elektronik. Während die Ingenieurleistung des Forschungsteams beeindruckend ist, ist die Funktionsweise der negativen Expansion aus fundamentaler physikalischer Sicht faszinierend.

Während des Schwarz–Gold-Übergangs bleibt die Kristallstruktur unverändert, aber die Atome rücken näher zusammen: Die Größe der Einheitszellen wird kleiner, weil sich – was sehr wahrscheinlich, aber vielleicht noch nicht zu 100 % sicher ist – die Elektronenstruktur der Samariumatome verändert und verkleinert – ein Prozess des intraatomaren Ladungstransfers, der als Valenzübergang oder Valenzschwankung innerhalb der Samariumatome bezeichnet wird.

 

Einmal Isolatoren, einmal Leiter

«Mein Eindruck ist», so Professor Takenaka, «dass die Korrelation zwischen dem Gittervolumen und der Elektronenstruktur des Samariums für diese Klasse von Sulfiden experimentell überprüft ist.» Genauer gesagt, ist die Elektronenkonfiguration der Samariumatome in der schwarzen (niedrigeren Temperatur) Phase (4f)6. Das bedeutet, dass sie in ihrer äussersten Hülle sechs Elektronen in den f-Orbitalen haben (s, p und d Orbitale sind gefüllt); während in der goldenen Phase die elektronische Konfiguration (4f)5(5d)1 ist – ein Elektron ist aus dem 4f- in den 5d-Orbital übergegangen.

Obwohl mit dem Besetzen einer höheren Schale begonnen wird, stellt sich – durch eine Eigenart des Pauli-Ausschliessungsprinzips – heraus, dass der zweite Fall eine kleinere Atomgrösse ergibt, was zu einer kleineren Kristallgrösse und einer negativen Ausdehnung führt. Aber das ist nur ein Teil des grundsätzlichen Bildes. In der schwarzen Phase sind das Samariumsulfid und seine dotierten Ableger Isolatoren – sie leiten keine Elektrizität, während sie in der goldenen Phase zu Leitern, d.h. Metallen werden. Dies deutet darauf hin, dass während des Schwarz– Gold-Phasenübergangs die Bandstruktur des gesamten Kristalls den Valenzübergang innerhalb der Samariumatome beeinflusst.

 

Wichtige Ergebnisse für Ingenieure

Obwohl niemand die theoretischen Berechnungen für die dotierten Samariumsulfide von der Gruppe von Professor Takenaka durchgeführt hat, hat eine frühere theoretische Studie gezeigt, dass Elektronen beim Verlassen der f-Umlaufbahn der Samariumatome ein positiv geladenes Loch hinterlassen. Dieses Loch interagiert seinerseits abstossend mit Löchern im Leitungsband des Kristalls und beeinflusst deren Austauschinteraktion. Dies wird zu einem kooperativen Effekt, der dann den Valenzübergang in den Samariumatomen antreibt.

Dennoch ist die Forschungsarbeit von der Nagoya University eine Leistung der Ingenieurwissenschaften und nicht der reinen Physik. «Was für viele Ingenieure wichtig ist, ist die Möglichkeit, mit dem Material Geräteausfälle aufgrund von Wärmeausdehnungen zu reduzieren», erklärte Professor Takenaka.

 

Infoservice

Nagoya University

Furo-cho, Chikusa-ku, Nagoya, 464-8601

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