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Der «Stoff» aus dem die Träume sind

Das Thema der Künstlichen Intelligenz (KI) fasziniert den Menschen seit Ewigkeiten. Was, wenn Maschinen eines Tages intelligent genug sind, um die Erde zu übernehmen, und wir Menschen ihnen als Sklaven dienen müssen? Das ist der Stoff, aus dem zahlreiche Romane und Hollywoodklassiker gemacht sind. Die Realität sieht allerdings ganz anders aus. Viel weniger spektakulär auf den ersten Blick, und doch bei genauerem Hinsehen aus industrieller Sicht mindestens ebenso relevant.

Seit Jahren steigen die Anforderungen an flexiblere Produktionssysteme infolge immer kürzerer Zyklen am Verbrauchermarkt. Während eine klassische Produktionsanlage in der Vergangenheit einmal in Betrieb genommen durchaus 20, 30 oder mehr Jahre immer dasselbe Produkt gefertigt hatte, wird heute von modernen Produktionssystemen – also den Maschinen, der Automatisierungstechnik, der Sensorik usw. – erwartet, dass sie flexibel auf neue Anforderungen aus dem Markt reagieren können – immer mit dem ultimativen Ziel der «Losgrösse 1» vor Augen.

Mit klassischer Programmierung, Parametrierung und Inbetriebnahme ist dem nur schwer beizukommen. Abhilfe könnten zukünftig Methoden der Künstlichen Intelligenz schaffen, die es der Anlage und deren Komponenten erlauben, sich durch kontinuierliches Lernen an neue Gegebenheiten anzupassen – ganz ähnlich wie wir Menschen. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg, der noch einige Jahre in Anspruch nehmen wird. Nichtsdestotrotz haben bereits heute Methoden der Künstlichen Intelligenz ihren Weg in ausgewählte industrielle Applikationen gefunden.

 

Vorausschauende Wartung als  wegbereiter für KI im Maschinenbau

Eine Vorreiterrolle nehmen dabei Anwendungen für die vorausschauende Wartung (Predictive Maintenance) ein. Während in frühen Applikationen ausschliesslich vordefinierte Schwellwerte (z.B. für bestimmte Frequenzen im System) überwacht wurden, kommen mittlerweile immer öfter KI-Technologien wie Machine Learning zum Einsatz, um das Bewertungssystem des Algorithmus flexibel zu trainieren. Gemessene Daten aus dem Produktiveinsatz – inklusive jener Fälle, die zu Fehlern oder gar zum Ausfall der Anlage geführt hatten – werden dem Machine-Learning-Algorithmus zur Verfügung gestellt, um automatisiert ein entsprechendes KI-Modell zu erstellen. Entwicklungsplattformen wie MATLAB stellen dem Entwickler dafür zahlreiche unterschiedliche Machine-LearningMethoden sowie Apps für die Auswahl und das Trainieren zur Verfügung.

Der Anwender wählt aus zahlreichen weit verbreiteten Klassifikations- und Regressionsalgorithmen, vergleicht Modelle anhand von Standardmetriken – wie Support Vector Machines, Nearest Neighbor, Ensemble Methods oder Decision Trees –, und exportiert vielversprechende Modelle zur weiteren Analyse und Integration. Den kompletten Workflow kann der Anwender mit den Classification und Regression Learner Apps einfach und effizient auf die Daten anwenden.

 

Potenzielle Maschinenstillstände erkennen bevor sie auftreten

Wesentlich für den Erfolg ist dabei auch die entsprechende Vorverarbeitung der Rohdaten. Auch hier stellt MATLAB mit entsprechenden Erweiterungen effiziente Tools zur Verfügung um zum Beispiel Ausreisser automatisch zu erkennen, Signale zu filtern, Signale von der Zeitdomäne in die Frequenzdomäne überzuführen, die Dimensionalität der Daten zu verringern und Merkmale zu extrahieren. Der fertig implementierte und getestete Algorithmus wird dann auf das Produktivsystem übertragen, wo er – wie etwa bei Mondi in Gronau – 24 h pro Tag und 365 Tage im Jahr durchgehend läuft und sicherstellt, dass potenzielle Maschinenstillstände und Produktionsausfälle erkannt werden, bevor sie auftreten.

 

Business Case für Predictive Maintenance ist einfach darstellbar

Ein Grund dafür, dass sich gerade im Bereich Predictive Maintenance Machine-Learning-Algorithmen bereits mehr und mehr etablieren, während andere Anwendungsbereiche bisher noch ausgeklammert wurden, ist der, dass ein System für die vorausschauende Wartung parallel zum laufenden Betrieb installiert und betrieben werden kann, ohne in diesen aktiv einzugreifen. Für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz für Bereiche wie die Maschinenregelung oder für die flexible Rekonfiguration im Betrieb, die direkt in den Produktionsprozess eingreifen, ist daher noch eine grössere Portion an Erfahrung und Vertrauen notwendig.

Darüber hinaus gestaltet sich der Business Case für die Einführung von Anwendungen für die vorausschauende Wartung vergleichbar einfach. Jeder Fehler oder gar Maschinenstillstand, der frühzeitig erkannt werden kann, und jeder unnötige Wartungseinsatz, der vermieden werden kann, spart Geld und trägt zum ökonomischen Erfolg der Predictive-Maintenance-Applikation bei.

 

Machine learning, Deep learning, Reinforcement learning

Doch Machine Learning für Predictive Maintenance ist nur eine Form der Künstlichen Intelligenz, die für den Maschinen- und Anlagenbau zukünftig eine immer wichtigere Rolle spielen wird. Insgesamt kristallisieren sich derzeit drei Gruppen von KI Methoden heraus, die für den industriellen Einsatz in den kommenden Jahren immer wichtiger werden:

■ Machine Learning: Die Grundidee ist hier, Muster in Daten zu finden (Zahlenwerte, Bilder usw.), um dann eine Vorhersage auf Basis bisher unbekannter Daten zu treffen. Statistische Verfahren ermöglichen es Maschinen, Aufgaben aus Daten zu «lernen» – ohne explizite Programmierung.

■ Deep Learning: Deep Learning ist eine Form des maschinellen Lernens, bei der Neuronale Netze mit vielen Schichten, die Darstellungen und Aufgaben «direkt» aus Daten lernen.

■ Reinforcement Learning: Reinforcement Learning ist eine weitere Form des maschinellen Lernens, bei der an das System zurückgemeldet wird, ob die richtige oder falsche Entscheidung getroffen wurde. Mit einer ausreichend grossen Anzahl an Wiederholungen ist das System schliesslich in der Lage, die richtigen Ergebnisse vorherzusagen.

 

Fehlende Daten werden mit Simulationswerten ergänzt

Eine wichtige Rolle für das Trainieren von KI-Algorithmen spielen dabei Simulationsmodelle. Messdaten aus dem Feld, die nicht im benötigten Umfang zur Verfügung stehen, werden mit Werten aus der Simulation ergänzt. Das gilt insbesondere für Fehlerdaten, die naturgemäss nicht in der Fülle vorhanden sind, wie sie für das Training der KI-Modelle notwendig wären. Gerade im Bereich Reinforcement Learning sind Simulationsmodelle für das Feedback an den Algorithmus unerlässlich. Damit können Steuerungen und Entscheidungsalgorithmen für komplexe Systeme wie autonome Roboter simuliert werden.

Mithilfe von tiefen neuronalen Netzwerken, Polynomen oder Nachschlagetabellen werden die Richtlinien implementiert und trainiert, indem die Interaktion mit Umgebungen, die durch Modelle in MATLAB oder Simulink repräsentiert werden, ermöglicht wird.

 

KI im Einsatz – auf der MatlaB EXOo Schweiz

Viele Unternehmen des Maschinen- und Anlagenbaus sind beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz noch zurückhaltend. Doch die ersten Erfolgsgeschichten werden bereits in Schweizer Unternehmen geschrieben. Auf der letzten MATLAB EXPO, die im Mai in Bern stattfand, war Künstliche Intelligenz eines der Hauptthemen. Dort stellten Unternehmen wie GF Machining Solutions, Stäubli und Schindler ihre Erfahrungen vor. Dr. Schurov von GF Machining Solutions erklärte in seiner Keynote «AI Applications in Machine Tools Design and Operations», wie künstliche Intelligenz im Industrial IoT genutzt werden kann, um trotz steigender technischer Komplexität, der sinkenden Zahl qualifi zierter Mitarbeiter, geringeren Produktzykluszeiten und kürzeren Markteinführungszeiten die Produktivität zu steigern.

In einem anschliessenden Vortrag stellte die Stäubli Sargans AG ein inkrementelles Echtzeit-Inspektionssystem für Gewebe vor, das Machine-Learning- und Deep-LearningTechniken verbindet. Manuel Pijorr, Schindler Aufzüge, zeigte in seinem Referat, wie das Unternehmen modellbasierte Entwicklung nutzt, um ein Aufzugsystem schon früh im Entwicklungsprozess zu testen. So konnte Schindler die Testzeit für die Software von drei bis vier Wochen auf eine einzige Nacht mit automatisierten Simulationsdurchläufen verringern.

 

Viele Schweizer Firmen haben Potenzial von KI bereits erkannt

Auch wenn dies nur ein paar Beispiele für den Einsatz künstlicher Intelligenz sind, so stehen sie doch exemplarisch für die Vielzahl an Schweizer Unternehmen, die das Potenzial von KI bereits erkannt haben. Wichtig ist es, keine Berührungsängste mit dem Thema Künstliche Intelligenz zu haben. Entsprechende Projekte lassen sich durch den Einsatz von etablierten Entwicklungsplattformen wie MATLAB und Simulink mit überschaubarem Einsatz in der Praxis umsetzen.

 

Fazit

Während das Thema Künstliche Intelligenz in der allgemeinen Diskussion nicht mehr wegzudenken ist, ist die Anzahl an in der Praxis umgesetzten Projekten im Maschinen- und Anlagenbau noch überschaubar. Mit dem Eintritt entsprechend ausgebildeter Nachwuchsingenieure in den Arbeitsmarkt und mit der Unterstützung durch geeignete Entwicklungswerkzeuge werden sich die Einsatzbereiche von KI-Technologien in der Industrie in den kommenden Jahren allerdings deutlich erweitern und die Anzahl an erfolgreich umgesetzten Projekten steigen.

 

Quicklink: Präsentation von Dr. Sergei Schurov www.polyscope.ch/2019/ mathworks

 

 

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