chevron_left
chevron_right

Die Krux mit der Totzeit

Will man ein System regeln, das mit Totzeit behaftet ist, das also stets verspätet reagiert, so kann das Leben sehr frustrierend sein. Standardmässige PID-Regler versagen oder müssen derart passiv eingestellt werden, dass am Ende von Prozessdynamik keine Rede mehr sein kann. Ein Smith-Prädiktor entschärft das Problem erheblich.

Otto Smith war ein typischer Erfinder. 1917 in Illinois, USA, geboren, studierte er Elektrotechnik, doktorierte und arbeitete danach in diversen Firmen und Forschungsanstalten. Ab 1947 bis zu seiner Pensionierung 1988 war er Professor an der Universität von Berkeley. Er war somit aktiv in der Periode der grossen Entdeckungen in der Elektrotechnik und zählt heute zu den wichtigsten Persönlichkeiten jener Zeit. Er meldete gegen 50 Patente an und veröffentlichte weit über 100 Publikationen, unter anderem im Bereich der netzseitigen Ansteuerung und Regelung von Elektromotoren. In diesem Zusammenhang stiess er auf das Problem der Totzeit.

 

Gesamtsystem neigt zur Instabilität

Ein klassischer Regelkreis ist in Bild 1 dargestellt. Der Regler H treibt den Prozess, bzw. die Strecke oder das System G an. Am Ausgang der Strecke G wirkt die Störgrösse z, so dass sich der Ausgang y des Systems oft nicht exakt so verhält, wie es der Sollwert r verlangt. Aus diesem Grund wird aus Soll- und Istwert der Regelfehler e = r – y berechnet, den der Regler zu null machen soll. Beinhaltet G nun eine Totzeit, wie das typischerweise bei thermischen Prozessen, bei Transport- und Abfüllanlagen, aber auch bei vielen Antriebsanwendungen mit Spiel oder Elastizität und Reibung der Fall ist, so reagiert die Strecke G immer verzögert.

Das heisst, dass der Fehler e aus Werten gebildet wird, die zeitlich gar nicht zusammen gehören. Oder anders ausgedrückt: Der Regler versucht immer einen Fehler auszuregeln, den er noch gar nicht kennt, weil er erst später auftritt. Dadurch neigt das Gesamtsystem zu Instabilität, was bedeutet, dass der Regler sehr schwach eingestellt werden muss, was wiederum dazu führt, dass der Prozess nur langsam reagiert (Bild 2).

 

Regler müsste in die Zukunft sehen können

Oft ist H ein PID-Regler. Die Vorteile davon sind primär, dass dessen Verhalten leicht verständlich und nachvollziehbar ist, dass es für gutmütige Strecken einfache Einstellregeln gibt und dass seine (beschränkten) Fähigkeiten für moderate Anforderungen oft ausreichen. Mit Totzeit sieht das etwas anders aus und es gilt folgende Faustregel für PID-Regler. Dabei ist T die Totzeit und S die Zeitkonstante des Systems:

■ T < 0,1 × S: Der Regler für diese Strecke lässt sich leicht einstellen

■ 0,1 × S < T < 0,25 × S: Die Einstellung des PID-Reglers für diese Strecke ist anspruchsvoll

■ T < 0,25 × S: Der Regler für diese Strecke ist schwer einstellbar und die Resultate sind oft nicht befriedigend

 

Versucht man einen geeigneten Regler für eine Strecke mit Totzeit zu finden, so stellt man bald fest, dass der Regler die Fähigkeit haben müsste, in die Zukunft sehen zu können. Das ist natürlich nicht möglich, aber mit Hilfe eines Modells kann man das zukünftige Verhalten eines Systems mindestens im Voraus schätzen. Der Smith-Prädiktor tut genau das. Das Blockschaltbild eines Reglers mit SmithPrädiktor ist in Bild 3 dargestellt. H bezeichnet wiederum den Regler, zum Beispiel einen PID-Regler. G × T ist das Verhalten der Strecke, wobei wir jetzt davon ausgehen, dass sich die Totzeit T und das reine Verhalten der Strecke G ohne Totzeit separieren lassen. Das ist der Kern von Smith`s Idee.

 

Mathematische Modelle zur Realisierung des Reglers

Für die Realisierung des Reglers verwendet Smith nun mathematische Modelle für G und T. Um anzuzeigen, dass es sich um Modelle handelt, sind sie in Bild 3 mit G* bzw. T* bezeichnet. Die Modelle findet man durch eine Systemidentifikation und entsprechende Übertragungsfunktionen. Mit diesen Modellen lässt sich die Totzeit jetzt umgehen, denn mit H und G* lässt sich ein Regelkreis ohne Totzeit bilden (linke Hälfte in Bild 3). Der Regler H für diesen Kreis lässt sich demnach leicht nach den üblichen Regeln einstellen. Wir simulieren an dieser Stelle also den ursprünglichen Regelkreis aber ohne die Totzeit. Folglich ist y0* eine Vorhersage des wahren Streckenausgangs y.

Da das Modell G* und die geschätzte Totzeit T* in der Regel nicht perfekt sind, wird mit Hilfe von H und G* × T* auch noch eine Schätzung von y gemacht. Wir nennen sie y*. Mit y – y* erhält man schliesslich den verbleibenden Regelfehler, der auf Grund des Modellfehlers und der Störgrösse z resultiert (rechte Seite in Bild 3). Dieser Restfehler wird ebenfalls auf den Regler H zurückgeführt. Es zeigt sich (Bild 4), dass mit dieser Topologie deutlich bessere Resultate erzielt werden, als mit dem einfachen PID-Regler gemäss Bild 1. Die modellbasierte Regelung mit Smith-Prädiktor ist ziemlich robust gegenüber Modellfehlern. Dennoch gilt natürlich: Je besser das Modell, desto besser die Regelgüte. Darin liegt auch die Herausforderung bei der Realisierung.

 

Smith-Prädiktor – ein nützliches Tool

Otto Smith hat uns mit seinem Regleransatz ein nützliches Werkzeug für den Umgang mit reiner Totzeit hinterlassen. Seine Idee wurde in neuerer Zeit in vielfäliger Weise weiterentwickelt, so dass inzwischen viele schwierige Fälle, auch solche, die von Natur aus instabil sind, praktikabler geworden sind.

 

Infoservice

Stettbacher Signal Processing AG

Neugutstrasse 54, 8600 Dübendorf

Tel. 043 299 57 23, Fax 043 299 57 25

dsp@stettbacher.ch, www.stettbacher.ch