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Digitalisierung in der Schweizer Industrie auf dem Prüfstand

Die automation & electronics 2019 vom 5. bis 6. Juni in Zürich ist auch ein Querschnitt der Digitalisierung in der Schweizer Industrie. Vor der Veranstaltung wollten wir von einigen Ausstellern wissen, wie sie die Trendthemen 5G oder IoT im Detail umsetzen und welche Entwicklungen sie an der Fachmesse zeigen.

Mit rund 110 Ausstellern aus verschiedenen Branchen und Experten aus der Forschung treffen an der automation & electronics, 5. und 6. Juni 2019 in Zürich, Praxis und Theorie aufeinander. An Gesprächsthemen mangelt es angesichts der aktuellen Entwicklung nicht: Für viel Diskussionsstoff  sorgt allein schon der Einzug von 5G.

Bei der Sigmatek Schweiz AG sieht man in dem neuen Mobilfunkstandard 5G die Chance, die Vernetzung in der Produktion insgesamt voranzubringen. Das Unternehmen bietet Komplettlösungen für die Automatisierung von Maschinen und Anlagen an. Einer der Eigentümer von Sigmatek fokussiert sich seit vier Jahren mit einer eigenen Firma auf die Entwicklung Fahrerloser Transportfahrzeuge (FTF). Deren Einbindung in eine Werkhalle mit Personenverkehr birgt zurzeit noch einige Herausforderungen in Bezug auf Stabilität der Funkverbindung und somit die Sicherheit, wie Geschäftsführer Beat Meili sagt. «Von 5G versprechen wir uns schnellere Reaktionszeiten und schnelleren Datenaustausch, damit wir die geforderten Daten praktisch in Echtzeit auf den mobilen Transportsystemen haben.»

 

Mehr Chancen als Gefahren

Allgemein werde laut Beat Meili die Entwicklung von mobilen Fahrzeugen in der Schweiz massiv von dem neuen Standard profitieren. Dass er eine höhere EMV-Belastung mit sich bringe und deshalb auch Unsicherheiten berge, ändere das Gesamtfazit nicht. «Ich sehe trotz dieser Diskussion mehr Chancen als Gefahren in dieser neuen Technologie.»

Ein weiteres Unternehmen, das sich auf die durchgängige Automatisierung spezialisiert, ist die B&R Industrie-Automation AG. Je nachdem, wo die Anlagen der Kunden stehen, sei heute unter Umständen gar kein Internet verfügbar, sagt Geschäftsführer Paolo Salvagno im Hinblick auf 5G. «Da braucht es eine starke Mobilfunkverbindung, damit der Datenaustausch mit der Maschine möglich ist.» Je einfacher der Standard zur Verfügung stehe und je schneller die Datenrate sei, desto eher werde ein solches System natürlich auch benutzt. «Es wird sich also niemand dagegen wehren, wenn man per 5G schnellere Downloads oder Upgrades vor Ort vornehmen kann. Da ist man dann froh, dass man auf eine Steuerung mit einer möglichst schnellen Datenrate zugreifen kann.»

 

Dynamik durch 5G lässt sich noch nicht abschätzen

Ebenfalls mit positiver Haltung blickt man der Entwicklung durch 5G bei Phoenix Mecano entgegen. Das Unternehmen stellt Spezialgehäuse her für Anlagen und Maschinen. «Wir sind gespannt darauf, welche Dienstleistungen und Produkte sich durch 5G entwickeln werden», so Marketingleiterin Tamara Dickel. «Als Zulieferer von Komponenten konzentrieren wir uns darauf, wie wir die Anlagenhersteller dabei unterstützen können.» Dabei sei die Dynamik durch den neuen Mobilfunkstandard nicht gänzlich abzuschätzen, gerade wenn es um den Consumer-Bereich gehe. «Wir bereiten uns vor allem darauf vor, nicht bloss auf grössere Datenmengen im Speziellen.»

 

Datensicherheit bei Cloud-Lösungen ist Herausforderung

Wenn Daten durch 5G schneller und in grösserem Umfang fliessen, müssen sich daran beteiligte Anbieter andererseits auch mit der Frage auseinandersetzen, wie es um die Sicherheit der Informationen geht. B&R bietet den Unternehmen unter anderem die Infrastruktur und die Software an, um Daten einer Cloud-Lösung zu übermitteln und sie dann weiter zu bearbeiten. 5G berge dabei aber keine grösseren Risiken als 4G, so Salvagno. «Wir müssen uns aus Sicherheitsgründen die Mechanismen anschauen. Aber sonst sehe ich eigentlich da keine grossen Unterschiede.»

Laut Salvagno will B&R künftig vermehrt Produkte anbieten, die auf Cloud-Lösungen basieren. Damit gehe die Frage einher, wie die Daten eigentlich in den Speicher gelangen und wo sich dieser befindet. «Die Sicherheitsfrage ist eine der Herausforderungen, denen sich viele Firmen jetzt stellen müssen.» Konkret befindet sich die Datenwolke je nach Architektur nicht ausschliesslich an einem externen Standort. Der Speicher kann sich an der Maschine selbst befinden oder auf dem Rechner eines Endkunden. Dadurch entstehen Schnittstellen, die bedacht werden müssen. «Die Sicherheit ist also immer eine Frage, welche unsere Auftraggeber auch mit ihren beteiligten Partnern beantworten müssen», betont Salvagno. Auf Cloud-Ebene seien Sicherheitstests von sehr vielen verschiedenen Mechanismen an der Tagesordnung und Teil der Systementwicklung. Für die Sicherheit auf der Steuerung im Speziellen sorgten verschlüsselte Software-Codes, die einen direkten Zugriff verunmöglichten.

Die Sicherheitsfrage beim Datenfluss und die browserbasierte Cloud-Plattform ist auch beim Sigmatek-Team aktuell Thema, wie Meili bestätigt. «Wir gewährleisten diese Sicherheit, indem wir beispielsweise bereits bei der Steuerung auf dem Programmierport VPN-Tunneling in Kombination mit SSL- Verschlüsselung anbieten», führt er aus. «Natürlich ist es entscheidend, dass der Cloud-Betreiber verlässlich und professionell ist.»

 

Protokolle wie OPC UA-TSN setzen Infrastruktur voraus

Der Hinweis auf die Verlässlichkeit betrifft unter anderem die eingesetzte Technologie. Gerade im Bereich IoT sind schon gegen wenig Geld verschiedene Komponenten verfügbar. Meili spricht von einem Wildwuchs im Low-Cost-Bereich, der Unsicherheiten schaffe. «Es ist deshalb unentbehrlich, das System als Ganzes zu administrieren. Ein Betreiber muss jederzeit den Überblick haben, welche Teilnehmer mit welchen Aufgaben und Rechten sich im gesamten IoT-Netzwerk befinden.»

Für die Kommunikation der Steuerungstechnik und die Produktionsanlagen selbst haben sich mittlerweile internationale Standards etabliert: Bei der Kommunikation der Steuerung mit der Cloud nutzen Anbieter das Protokoll MQTT und innerhalb der Produktionsanlagen die Protokolle OPC UA beziehungsweise OPC UA-TSN. Die Standards seien gesetzt, nun müsse die Industrie sie umsetzen, sind sich Salvagno und Meili einig. Allerdings setzen neue Protokolle wie OPC UA-TSN eine entsprechend leistungsfähige GBit-Infrastruktur voraus, gerade im Hinblick auf die zu erwartende Datenflut durch 5G.

«Dieser Standard setzt eine Gigabit-Infrastruktur voraus», betont Salvagno. «Am Anfang wird die Umsetzung noch mehr kosten, als wir es uns vorstellen. Aber natürlich erwarten wir einen Skaleneffekt.» Bereits heute gibt es Produkte, die mittels Secure Remote Maintenance eine sichere Datenverbindung in verschiedenen Varianten herstellen. Bei B&R arbeite man mit Hochdruck an weiteren Entwicklungen, um sie zeitnah gemäss den Bedürfnissen der Kunden anbieten zu können.

 

Cobots und ihre vorläufigen Grenzen

Ein Thema, mit dem man sich bei allen drei Unternehmen schon länger befasst, sind kollaborative Roboter oder Cobots. Im Stammhaus von Sigmatek in Österreich kommen Cobots in der Qualitätssicherung zum Einsatz. Sie erhalten dazu Informationen über den Prüfverlauf und zeichnen über Messsysteme die tatsächlichen Ergebnisse auf. «Das ist nicht sehr komplex, aber eine sinnvolle Aufgabe angesichts des heutigen Stands dieser kollaborativen Roboter», sagt Meili.

Wie bei den Fahrerlosen Transportfahrzeugen sorgt die Sicherheit im Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine für Herausforderungen und Grenzen. «Die heutigen Sicherheitsbestimmungen schreiben vor, dass ein Cobot nur sehr langsam fahren darf», so Meili. «Und ein Cobot hat ohnehin schon Schwierigkeiten, etwas wie ein Mensch zu greifen. Wenn er es dazu noch so langsam macht, ist das aus meiner Sicht ineffizient.»

Für den Einsatz in der Massenproduktion seien diese Roboter deshalb aufgrund der gesetzlichen Vorschriften nicht bzw. noch nicht geeignet. Dazu müsste man laut Meili die Sicherheitsbestimmungen ändern oder die Reaktionsgeschwindigkeit der Cobots erhöhen, damit sie trotz hohen Tempos rechtzeitig abbremsen, wenn sie Menschen zu gefährden drohen. «Aber das ist ein schwieriges Thema. Wenn ein Roboter beispielsweise einen spitzen Gegenstand führt, kann dieser sogar im Stillstand für Gefahr sorgen.»

 

Sicherheitsrichtlinien bei Cobot-Einsatz einhalten

Gewisse Arbeiten könnten durch Roboter nicht zu 100 Prozent ersetzt werden, ist auch Salvagno überzeugt. Dennoch gebe es schon heute viele Einsatzgebiete für Cobots, bei denen die Sicherheitsrichtlinien eingehalten würden. Er sieht vor allem eine grosse Chance für den Einsatz von Cobots bei der Arbeit mit schweren Lasten. «Denken wir nur mal an das Gesundheitswesen, wo einzelne Arbeiten für das Pflegepersonal sehr anstrengend oder sogar gesundheitsschädigend sind.» Produktionsbetriebe in West- und Mitteleuropa ihrerseits könnten durch den Einsatz von Cobots zudem günstiger fertigen, wenn bestimmte Schritte über Nacht automatisiert laufen und tagsüber die Mensch–Roboter-Kollaboration funktioniert.

 

Kosten-Nutzen eines Cobots abwägen

Phoenix Mecano sammelte eigene Erfahrungen im Umgang mit Cobots. Das Unternehmen hat einen der Roboter in einen Arbeitsplatz integriert. «Wir sind als Unternehmen stark mit Lean-Arbeitsplätzen beschäftigt und setzen uns für Prozesssicherheit ein», erklärt Dickel. Leistungsfähigere Sensoren würden auch die Entwicklung von besseren Cobots ermöglichen. «Die Herausforderung besteht aus meiner Sicht darin, dass man in den Firmen die Kosten und den Nutzen eines Cobots abwägen muss.»

 

Marktreife Lösungen auf dem Messe präsentieren

An der Kostenwahrheit und der Realität beim Einsatz im industriellen Alltag müssen sich schliesslich alle neuen Entwicklungen und Technologien messen. An einer Fachveranstaltung mit gleichzeitig öffentlichem Publikum wie der automation & electronics setzen die Aussteller deshalb auf Handfestes. B&R präsentiert die Vision-Lösung, die aus der Integration von Kameras in Industrieanlagen hervorgegangen ist. «Wir haben damit ein Zeichen auf dem Markt gesetzt und vermitteln das gerne auch live den Messebesuchern», sagt Salvagno. Durch die Ausrichtung von B&R als Komplettanbieter zeigt sich die Integration von Kameras an der automation & electronics aber auch an anderen Beispielen wie der Transporttechnologie.

Wer den Stand von Phoenix Mecano an der automation & electronics besucht, dürfte feststellen, dass auch die Hersteller von Industriegehäusen immer individuellere Lösungen anbieten. Auch das ist eine Entwicklung, die aus dem Alltag gegriffen ist. «Wir fokussieren nicht nur an der Messe auf unsere Kompetenzen in diesem Bereich. Wir gehen davon aus, dass individuelle Gehäuse für neue Produkte, die im Zuge der Digitalisierung entstehen, gefragt sein werden.» Ein weiteres Messethema von Phoenix Mecano ist das Pick2light-System, das für Prozesssicherheit sorgt und eher auf die manuelle Produktion abzielt.

Sigmatek wiederum präsentiert an der Fachveranstaltung eine Cloud-Lösung, die erst kürzlich am Markt eingeführt wurde sowie die neue, auf HTML5 basierende Visualisierung. Für das prägendste Erlebnis dürfte laut Meili aber ein neues portables Bedienpanel mit Safety-Funktionen sorgen, das über eine drahtlose Verbindung funktioniert. Bei grösseren Anlagen kann der Bediener damit kabellos rund um die Maschinen gehen und hat dabei die Sicherheit sozusagen immer in der eigenen Hand. Die Reifeprüfung auf dem Markt hat das Panel erfolgreich hinter sich gebracht. «Wir haben damit einen Volltreffer gelandet», sagt Meili.

 

Networking rundet die Messe ab

Neben der Präsentation der neuen 4.0-Produkte steht für Meili der Gedankenaustausch auf der Messe im Fokus. «Für uns ist die automation & electronics ein Networking-Anlass», sagt er. Sigmatek stellt aus diesem Grund zusätzlich zur Networking Lounge des Messeveranstalters Easyfairs eine Bar an der Fachveranstaltung auf – für den analogen Austausch über die Digitalisierung.

 

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