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Die potenziellen Auswirkungen des Brexit auf die Elektronikindustrie

Der Stichtag für den Austritt Grossbritanniens aus der Europäischen Union kommt immer näher, und sowohl Politiker, die Industrie und die Bürger sind über die potenziellen Auswirkungen dieses einzigartigen Ereignisses auf ihre jeweiligen Felder im Unklaren. Aufgrund der wahrhaftig einmaligen Besonderheit des Verfahrens sehen sogar Experten einem gewissen Grad von Ungewissheit und Verwirrung entgegen.

Die Elektronikindustrie ist ein interessantes Beispiel für die weitreichenden Auswirkungen, die die Fertigungsindustrie, den Handel und die Logistik verändern können – und werden. Die globalen Produktions- und Lieferketten der Elektronikindustrie sind von vielen Gesetzen und Normen der Europäischen Union beeinflusst, weshalb diese Branche exemplarisch für die anstehenden Herausforderungen eines harten Brexit steht. Also – welche Veränderungen kann die Elektronikindustrie nach dem 22. Mai erwarten, und welche Vorbereitungen sollten sowohl Unternehmen als auch Kunden im Vorfeld treffen?

 

Einschränkung des freien Warenverkehrs

Eine der Errungenschaften der Europäischen Union ist der 1993 vollendete Binnenmarkt, der den freien Waren-, Kapital- und Dienstleistungs- und Personenverkehr garantiert. Die Elektronikindustrie kann in ganz Europa Produkte über die Grenzen transportieren, ohne von Zollprozessen betroffen zu werden. Im Falle eines No-Deal-Brexits, was bedeutet, dass zwischen der EU und Grossbritannien kein Übergangsabkommen verhandelt wird, wird Grossbritannien den Binnenmarkt und die Zollunion verlassen. Es wird vermehrte Grenzkontrollen geben, die sowohl die Geschäftsverwaltungskosten als auch die Zeitspanne in der Produkte befördert werden können, beeinflussen werden.

Das bedeutet für die stark exportorientierte Elektronikindustrie, dass die Logistik für die Produktions- und Lieferketten besonders beeinflusst wird, wenn über die britische Grenze hinweg produziert und gehandelt wird. Mark Peers, Direktor von SupplyPoint, einem Hersteller von intelligenten Bestandsmanagementsystemen mit Einrichtungen in Grossbritannien, beschäftigt sich vor allem mit Zeitabläufen: «Der Brexit bahnt sich an, und es gibt immer noch keine konkreten Aussagen dazu, wie Zoll- und Versandprozesse auf beiden Seiten des Ärmelkanals aussehen werden. Es könnte zu Verzögerungen von ein bis zwei Tagen bis hin zu drei bis vier Wochen kommen, und diese Unsicherheit erschwert das Planen. Um unsere europäischen Unternehmen und Kunden weiterhin effektiv zu unterstützen, mussten wir uns auf viele verschiedene Szenarien einstellen.»

 

Einführung von Komponenten- und Produktzöllen

Hersteller und Lieferanten, die Bauteile und Produkte versenden, müssen ihre Versand wege unter die Lupe nehmen. Falls der Weg über Grossbritannien geht, warten potenziell unerschwingliche Kosten und Verzögerungen. Dies ist besonders relevant was die Lieferung am Folgetag anbelangt – ein Service, der von vielen Kunden bevorzugt wird. ElektronikDistributoren mit Depots in Grossbritannien, die in die EU versenden – oder umgekehrt – könnten auf einmal gegen Konkurrenten im Nachteil sein.

Ein weiterer wesentlicher Aspekt des Binnenmarkts sind die fehlenden Zolltarife beim Warentransport in der EU. Sobald Grossbritannien die EU verlässt, muss ein Handelsabkommen abgeschlossen werden, das die neuen Import- und Exportvorschriften festlegt. Da aber bisher noch kein Abkommen arrangiert wurde, werden die neuen Vorschriften wahrscheinlich deutlich strenger als bisher ausfallen.

 

Lagerbestand von betroffenen Produkten erhöhen

Das bedeutet, dass eine Erhebung von hohen Warenzöllen auch auf Elektronik wahrscheinlich ist. Besonders Konsumenten werden hiervon betroffen sein, da die erhöhten Produktions- und Versandkosten für Komponenten und Elektronikprodukte sich voraussichtlich in erhöhten Produktpreisen widerspiegeln werden. Und der Versand während der Produktion ist nicht die einzige Gelegenheit, bei der Zölle Preise negativ beeinflussen könnten – auch die Versandkosten für EU-Kunden, die Elektronikprodukte online bei Distributoren bestellen, deren Depots in Grossbritannien sind und vice versa, könnten sich erhöhen.

Als Vorbereitung auf die potenzielle Einschränkung des freien Warenverkehrs und die Einführung von Zöllen erhöhen viele Distributoren ihren Lagerstand von Produkten, deren Lieferanten voraussichtlich die Brexit-Auswirkungen besonders stark spüren werden. Richard Humphreys, Senior Operations Manager bei EAO, hat diesen Effekt bemerkt: «Obwohl unsere Lieferkette in der Schweiz, in Japan und in der USA basiert ist, stellen wir aufgrund erhöhter weltweiter Nachfrage nach unseren Produkten verlängerte Lieferzeiten fest. Deswegen empfehlen wir Distributoren, dass sie ihren Lagerstand für unsere Produkte erhöhen, der im Fall eventueller Lieferverzögerungen als Sicherheitspolster dienen kann.»

 

Zugriff auf Facharbeiter

In der Elektronikindustrie gibt es ein besonderes Bedürfnis nach Facharbeitern, damit der kontinuierliche Erfolg und das Wachstum der Industrie gesichert werden können. Im Binnenmarkt einbegriffen ist auch der freie Personenverkehr. Bei bisher unklaren zukünftigen Einschränkungen ist unsicher, ob es der Industrie weiter möglich sein wird, ihre Arbeiter mühelos aus der EU und aus Grossbritannien einzustellen. Dies kann dazu führen, dass qualifizierte Arbeiter mit besonderen Fähigkeiten nicht mehr dort arbeiten können – oder wollen –, wo sie am meisten gebraucht werden.

Es bleibt abzuwarten, wie Grossbritannien mit diesem Thema umgeht, da Immigrationseinschränkungen eine Schlüsselthematik der Brexit-Kampagne waren. Die Elektronikindustrie in Grossbritannien hat allerdings in Bezug auf Facharbeiter deutlich mehr auf dem Spiel als ihr Gegenstück in der EU. Neue Immigrationseinschränkungen könnten besonders Berufsanfänger, die ansonsten sehr an binneneuropäischen Umzügen interessiert sind, davon abschrecken, in Grossbritannien zu arbeiten, was die Insel in ihrer Arbeitslandschaft noch inselartiger machen könnte.

 

Distrelec hat weiterhin die richtige Person für die richtige Position

Neil Harrison, CEO von Distrelec, einem führenden europäischen Distributor für elektronische Bauelemente, Automatisierungs- und Messtechnik, geht der Brexit direkt an: «Als EU-basierter Distributor mit Logistikzentren in der Schweiz und den Niederlanden, mit einem Grossteil unserer Kundschaft ebenso in der EU, sind wir vermutlich besser positioniert als viele andere, was die Minimierung von Brexit-Störungen für unsere Kunden angeht. Allerdings ist Distrelecs Erfolg zu einem grossen Teil auf den Schultern unserer Mitarbeiter basiert, und wir haben Massnahmen getroffen, damit wir weiterhin die richtige Person für die richtige Position einstellen können. Aus unseren Büros in ganz Europa und unserem Enterprise Hub in Manchester werden wir weiterhin innovativ tätig sein und frische Lösungen für neue Szenarien wie sie der Brexit darstellt, finden.»

 

Auswirkungen auf britische Industrie

Im Angesicht der bisher aufgezeigten Konsequenzen haben viele grosse Elektronikfirmen ernsthafte Bedenken geäussert, ob sie ihre Tätigkeiten in Grossbritannien fortsetzen sollten. Falls sie ihre britischen Aktivitäten einstellen, würde dies auch die Unternehmen, auf deren Lieferketten sie sich bisher verlassen hatten, treffen. Viele davon wurden unter Umständen nur mit dem Zweck gegründet, um die Bedürfnisse der grösseren Unternehmen zu stillen. Im schlechtesten Fall könnte Grossbritannien einen Grossteil seiner Elektronikindustrie verlieren, was einen Dominoeffekt und so auch massive Auswirkungen auf das britische Wirtschaftswachstum haben könnte.

Aber nicht alle grossen Unternehmen scheuen sich vor dem Post-Brexit-Markt in Grossbritannien. Rob Hammond, CEO und Chairman von Hammond Manufacturing, kommentiert: «Hammond ist ein globales Unternehmen, und so positionieren wir uns proaktiv mit dem Ziel, unsere Kunden zu unterstützen, egal in welche Richtung der Brexit letztendlich geht. Sowohl Grossbritannien als auch die EU repräsentieren entscheidende Märkte, und wir bei Hammond werden unsere regionalen und internationalen Distributionspartner unterstützen.»

 

Fazit

Die Ungewissheit in Verbindung mit dem näher rückenden Brexit wird am besten durch umfangreiche Planungen bewältigt. Vorkehrungen für das Worst-Case-Szenario eines No-Deal-Brexits zu treffen, wie es viele Vertreter der Industrie getan haben, ist eine weise Massnahme. Hersteller, Lieferanten und Distributoren sollten entweder sicherstellen, dass ihre Produktions- und Lieferketten nicht vom Brexit beeinträchtigt werden, oder die nötigen Massnahmen treffen, damit ihre Aktivitäten so glatt wie möglich weiterlaufen können. Allerdings verbindet die Europäische Union und Grossbritannien eine wertvolle Handelspartnerschaft, und ihre Abhängigkeit voneinander wird nicht von einem Tag auf den anderen ausgelöscht werden. Wahrscheinlich wird der Brexit eine Schonfrist erhalten, und die hier beschriebenen Änderungen werden nicht sofort in Kraft treten. Und sobald klar ist, was genau der Brexit wirklich mit sich bringen wird, wird die europäische Elektronikindustrie ihre Antwort darauf geben.

 

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