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Virtuelle Patienten auf dem OP-Tisch

Neue Simulationstechniken verringern die Risiken bei Herzoperationen und verkürzen klinische Tests für die Zulassung von Medikamenten. Auf der letztjährigen Wissenschaftskonferenz «Science in the Age of Experience» in Boston öffnete Dassault Systèmes die Türen zu den Laboratorien. Die Referenten kamen von Amazon, General Electric, Boeing und es sprachen Spitzenforscher wie Michael Rosbash, Nobelpreisträger für Physiologie oder Medizin

Dank neuer Modelle und einer deutlich leistungsfähigeren Hardware erobern Simulationen derzeit fast alle Felder der Wirtschaft: Von der Stadtplanung über Produktionsprozesse bis hin zur Pharmaforschung. Eines der ambitioniertesten Projekte ist «Living Heart». Zusammen mit Partnern aus Forschung und Industrie hat Dassault Systèmes ein 3D-Modell geschaffen, das Vorgänge im menschlichen Herzen von der molekularen über die Zell ebene bis hin zum kompletten Organ simuliert.

 

Herzmodell ist in der Cloud verfügbar

Das Modell bezieht biochemische ebenso wie thermische und mechanische Prozesse auf allen Ebenen ein. Dank High Power Computing ist damit ein leistungsfähiges Herzmodell in der Cloud verfügbar. Inzwischen lassen sich so Effekte von Pharmazeutika am simulierten Herz studieren. Das Projekt erhielt bereits mehrere Preise, unter anderem für eine in den USA durchgeführte Studie zu Herzrhythmusstörungen und für die beste Nutzung von High Performance Computing (HPC) in der Cloud.

 

Virtuelle Tests statt klinischer Studien

Die Digitalisierung in der Medizin wurde in den letzten Jahren eher mit zusätzlichem bürokratischem Aufwand in Verbindung gebracht. In Zulassungsverfahren Simulationen anstelle von klinischen Tests einzusetzen, stellt dagegen einen neuen Ansatz dar. Bei den derzeitigen Aufwendungen für Zulassungsverfahren wäre das ein disruptiver Fortschritt. Mit entsprechend grosser Spannung war auf der Tagung dann auch der Vortrag «Advancing In Silico Medicine at FDA – Perpectives on Simulation in Medical Devices» von Dr. Tina Morrison von der Food and Drug Administration (FDA), der Lebensmittelüberwachungs- und Arzneimittelbehörde der Vereinigten Staaten, erwartet worden. Morrison ist Chief Advisor of Computational Modeling für das Office of Device Evaluation und leitet die Arbeitsgruppe «Regulatory Review of Computational Modeling» am Center for Devices and Radiological Health (CDRH) der FDA. In ihrem Vortrag gab sie einen Einblick in den FDA-internen Forschungsprozess. Dabei beleuchtete sie die Nutzung von Simulationen um dadurch klinische Evidenz zu ersetzen.

 

Testdurchführung in virtueller Umgebung

«In silico» lautet das Stichwort dafür: In Anlehnung an die Begriffe in-vivo und in-vitro wird damit die Durchführung von Tests in einer virtuellen Umgebung beschrieben. Bei einem Vergleich der Evaluierungskanäle «Bench», «Animal» und «Clinical» mit «Computer» fand Dr. Morrison heraus, dass die virtuelle Methode in fünf von elf Kategorien gute (good) und fünf Mal ausreichende (fair) Ergebnisse liefere. Die Möglichkeiten, Simulationen in konkrete Zulassungsprozesse einzubeziehen, sind vielfältig. Dafür werden bereits einerseits physiologische und anatomische Modelle von Teilen des menschlichen Körpers genutzt, andererseits physikalische Simulationsmethoden.

Am Projekt VICTRE (Virtual Imaging Clinical Trials for Regulatory Evaluation) erläuterte sie, wie eine klinische Studie durch Simulation vermieden werden konnte. Für konkretere Ansätze verwies sie auf das Trainingsseminar «Credibility of Computational Modeling through Verification and Validation». In dem Kurs wird unter anderem erläutert, wie die Verlässlichkeit von Simulationen durch Verifikation und Validierung geprüft wird.

Als Fazit für den Stand der Entwicklung zitierte Morrison die Veröffentlichung mit dem Titel «An FDA Viewpoint on Unique Considerations for Medical-Device Clinical Trials» von Jeff Shuren, dem Direktor des CDRH: «Wenn gezeigt werden kann, dass diese virtuellen Patienten in einer genau definierten Art und Weise vergleichbar mit realen Patienten sind, dann könnten zukünftige klinische Studien teilweise auf den Daten virtueller Patienten beruhen. Das würde die Belastung für reale Patienten reduzieren.»

 

Eingriffe am digitalen Zwilling vorbereiten

Während die FDA noch an digitalen Modellen forscht, ist man bei dem Startup Biomodex schon einen Schritt weiter: Dort werden aus digitalen Patientendaten, üblicherweise vom CT, 3D-Modelle einzelner Gefässe oder Organe errechnet und mit einem 3D-Drucker gedruckt. Dank eines patentierten Verfahrens wird an so einem digitalen Zwilling auch die Biomechanik realistisch wiedergegeben. Gerade bei komplizierten Eingriffen können Chirurgen damit die Operation in allen Details planen bzw. üben.

 

Virtuelle Vorbereitung von Operationen

Bei der Entwicklung ihrer Technologie profitiert die Firma mit derzeit 30 Mitarbeitern und Niederlassungen in Paris und Boston vom 3DEXPERIENCE Lab, dem Startup-Programm von Dassault Systèmes. «Die 3DEXPERIENCEPlattform ist für uns als Startup und Generation-Y-Firma sehr umfangreich. Die Sicherheit und Rückführbarkeit der Daten in der Cloud ist hier für uns sehr komfortabel», sagte CEO Thomas Marchand dazu in einem Interview. Life Sciences ist eine von gegenwärtig zwölf Industrien, die Dassault Systèmes mit der zentralen 3DEXPERIENCE Plattform adressiert. Auf dieser Plattform setzen die verschiedenen Brands und Softwarepakete auf. Marchand: «Wir nutzen CATIA, führen Strukturanalysen mit der SIMULIA Suite durch und planen unsere Projekte mit ENOVIA.» Ziel von Biomodex

ist neben der erhöhten Sicherheit durch die virtuelle Vorbereitung von Operationen auch eine Reduktion der Operationsdauer.

 

Infoservice

Dassault Systèmes (Schweiz) AG

Balz-Zimmermann-Strasse 7, 8302 Kloten

Tel. 044 200 36 70, www.3ds.com