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Besuch an der University of California - Diplomfeier in Santa Cruz

Der Graduation Day ist der Höhepunkt und Abschluss eines Studiums in den USA, nicht zuletzt für Eltern und Angehörige. Entsprechend wird der Tag mit Spannung und Würde – nach alter Tradition – begangen und anschliessend ausgelassen gefeiert. Nebenbei bietet ein derartiges Ereignis auch aufschlussreichen Einblick in eine Gesellschaft.

Das Bildungssystem der USA unterscheidet drei Ebenen: Die Elementary School unfasst etwa unseren Kindergarten und die fünf oder sechs Jahre Primarschule. Unter den Secondary Schools summieren sich die verschiedenen High Schools für die akademische oder beruflich Ausbildung, die mit einem High School Diplom abschliessen. Das Diplom entspricht ungefähr unserer Matura oder einem Berufsoder Fähigkeitszeugnis. Die dritte Ebene wird als Postsecondary Education bezeichnet. Sie umfasst die universitäre Aus- und Weiterbildung und korrespondiert weitgehend mit unseren Hochschulen. Allerdings ist in den USA das Hochschulwesen nicht einheitlich geregelt und

es bestehen grosse qualitative Unterschiede zwischen den Institutionen. Aus diesem Grund spielen die Rankings der verschiedenen Universitäten eine herausragende Rolle und ehrgeizige Studenten suchen sich nur die besten Universitäten im Land aus, sofern sie diese vermögen und falls sie dort auch aufgenommen werden, denn die prominentesten Universitäten, allen voran die sogenannten Ivies der Ostküste, wie Harvard, Yale, Columbia, Princeton, etc., aber auch das bekannte Massachusetts

Institute of Technology (MIT), pflücken sich alljährlich nur die aller besten unter den Zehntausenden von Bewerbern heraus.

Die postsekundäre Ebene der US-amerikanischen Bildung gliedert sich wiederum auf in mehrere Stufen: Der Einstieg besteht aus den Undergraduate Programs, die von Universitäten und Colleges angeboten werden. Sie entsprechen unserem BachelorStudium und enden mit der Graduation als Hauptabschluss. Die meisten Absolventen treten auf dieser Stufe in die Berufswelt über. Die verbleibenden, vielleicht zehn Prozent, nehmen ein Graduate Program an einer Uni auf, das zum Master führt. Darüber gibt es noch die Doctoral und Postdoctoral Studies, ähnlich wie bei uns.

Während meinen Sommerferien war ich an eine Graduation Feier, man nennt sie Commencement, in Kalifornien eingeladen. Die University of California (UC) ist auf 10 Standorte verteilt, darunter Berkeley, Los Angeles, San Francisco, San Diego und eben Santa Cruz, wo die Feier stattfand. Santa Cruz ist ein beschaulicher Küstenort an der Monterey Bay, eine typische Beach Community, gute 100 km südlich von San Francisco. Die rund 60'000 Einwohnern geniessen das ganzjährig angenehme PazifkKlima.

In der Stadt – vor etwas mehr als 200 Jahren von Missionaren gegründet – lebt der spanische Einfluss der frühen Siedler fort. Santa Cruz ist ein Anziehungspunkt für pensionierte (und reiche) Alt-Hippies, Künstler, Surfer und Alternative jeder Art. Hier wird bewusst gesund gegessen und stressfrei gelebt. Stadt und Uni bilden ein symbiotisches System, das diverse Technologiefirmen hervor bringt und von der Nähe zum Silicon Valley profitiert.

Die UC Santa Cruz, kurz UCSC, liegt auf bewaldeten Hügeln landseits der Stadt und erstreckt sich über mehr als acht Quadratkilometer. Die Universität mit ihren gegen 20'000 Studenten gliedert sich in zehn Colleges, die primär das studentische Leben organisieren und vor allem den unteren Semestern Wohnmöglichkeiten bieten. Wer dabei an John Landis unanständigen Film National Lampoon's Animal House von 1978 (mit dem grandiosen John Belushi in römischer Toga) und an unsere jugendlichen Träume vom studentischen Leben zurück denkt, mag etwas ernüchtert sein. Hier geht alles wohl geordnet zu und her, alles ist bestens durchorganisiert, selbst für die Studenten

sind ausreichend Parkplätze vorhanden. Ohne eigenen Wagen käme man hier nicht weit.

Das jüngste College der UCSC ist das College Ten. Seine Gebäude wurden 2002 mitten im lauschigen Wald zwischen stattlichen Redwood-Bäumen erbaut. Jedes College hat sich – nebst den vielfältigen Studiengängen von Psychologie bis Computerwissenschaften – einem bestimmten Thema verschrieben, jenes des College Ten lautet Social Justice and Community. Themen wie Rassismus, Sexismus, Armut und Umwelt werden an Workshops, Veranstaltungen und freiwilligen Einsätzen vertieft. Was bei uns ziemlich linkslastigen gesehen würde, wird in den USA nicht zwingend politisch konnotiert: Auf Grund dessen, dass die USA ein Vielvölkerstaat von Einwanderern unterschiedlicher Provenienz sind, und weil die Themen Gleichberechtigung und Umwelt insbesondere in Kalifornien – vielleicht mehr als im Rest der USA – eine hohe Priorität geniessen und Toleranz aktiv gelebt wird, besteht gegenüber diesen Anliegen ein verbreiteter Konsens.

Am Tag der Feier herrscht im schattigen Wald beim College Ten eine feuchte Kühle. Die Angehörigen und Freunde treffen auf den Parkplätzen ein und werden mit Bussen zum Campus gefahren. Von hier drängt sich die bunte Menge unter den wachsamen Augen von Sicherheitsleuten zäh über einen kurzen, gepflasterten Weg in den Wald und in ein offenes Amphitheater, das eigens für derartige Anlässe in einer Senke im Gelände gebaut wurde und mehrere tausend Sitzplätze bietet. Seit dem Goldrausch von 1850 wurde hier während 100 Jahren – auf indianischem Land – Kalk für den Bau von Städten abgebaut. Die Ureinwohner wurden damals vertrieben und innerhalb von wenigen Jahren fast vollständig aus der Region verdrängt. Viele der Besucher sind feierlich gekleidet, andere erscheinen im Stranddress. Gegen 300 Kandidaten des College Ten sollen geehrt werden. Sie stehen schon aufgereiht auf einem separaten Weg im Wald, bereit für ihren Einzug. Sie tragen den traditionellen schwarzen Talar, die sogenannte Akademische Tracht mit quadratischem Barett, daran die Quaste in den Farben der Uni (blau und gelb), und einer Schärpe, ebenfalls in den Farben der Uni. Zudem haben sich einige mit bunten Blumengirlanden behängt oder ihren Hut verziert, die Stimmung ist feierlich und ausgelassen zugleich. Allmählich hat sich die Arena gefüllt, die Feier beginnt. Sie verläuft erstaunlich schlicht: Zuerst Einzug, Begrüssung und Ansprachen, dann der Hauptteil, nämlich das Überreichen der Urkunde, nacheinander an jeden Absolventen mit Nennung des Namens, der Fachrichtung oder der Fachrichtungen und allfälliger Auszeichnungen, sowie Verlesung eines persönlichen Statements, Händedruck und der nächste bitte, selbstverständlich alles unter dem Jubel der jeweiligen Angehörigen, wobei mancher Jubel eher wie Geschrei klingt, vermutlich war in der Nacht davor schon gefeiert worden.

Einige Dinge sind mir aufgefallen:

  • Unter den Graduierten waren gut 10 % mehr Frauen als Männer.
  • Die Leitung des College Ten besteht zu 90 % aus Frauen.
  • Am Anfang der Zeromonie wurden die Gäste von neun verschiedenen Studenten in neun verschiedenen Sprachen begrüsst, nämlich in Englisch, Chinesisch, Koreanisch, Indonesisch, in zwei verschiedenen philippinischen Sprachen (Tagalog und Kapampangan), in Thai, Arabisch und Afghanisch.
  • Unter den Namen der Studenten waren 42 % asiatisch klingende, 36 % westliche, 16 % spanische, 5 % arabische und einige wenige afrikanische oder sonstige. Natürlich geben die Namen nicht notwendigerweise Aufschluss über die Nationalität der Personen. Die häufigsten Namen waren Lee, Chen und Tran, die kürzesten lauteten Go, Ho, Ip, Le, Lu, Ma, Ng, So, Tu, Wu und Yu. Der längste aller Namen war (wer Karl May gelesen hat wird es vermuten) ein arabischer.
  • Eine Studentin erhielt von der Universität die Auszeichnung cum laude (mit Lob) für spezielle akademische Leistungen. Einige Studentinnen und Studenten erhielten zudem für ihren Abschluss Auszeichnungen der Fakultät oder des Colleges. Weitere wurde für ihren Einsatz bei Aktivitäten des Colleges geehrt. Drei Studentinnen und zwei Studenten wurde die Aufnahme in die Ehrengesellschaft Phi Beta Kappa angeboten.
  • Die beliebtesten Studienrichtungen waren Computerwissenschaften, Biologie und Wirtschaft mit je ca. 60 Abgängern. Schon deutlich weniger Diplome, nämlich je rund 25 gab es in Psychologie, Soziologie und Geschichte/Politologie. Nur einzelne Studenten hatten sich für Ingenieurwissenschaften, Rechtswissenschaft, Geografie, Mathematik, etc. begeistern können.

 

Im Anschluss an das Commencement löste sich die Gesellschaft rasch auf. Es wurde im privaten Rahmen weiter gefeiert, was bedeutet, dass praktisch alle Restaurants in Santa Cruz und Umgebung ausgebucht waren. Gegen Abend trafen sich die frisch Graduierten zu ihren eigenen Abschlusspartys mit Grill und viel Alkohol, was man ihnen nach drei langen Jahren Lernen, Lernen, Lernen gönnen mochte.

 

 

 

Dr. Jürg M. Stettbacher

Stettbacher Signal Processing AG

Neugutstrasse 54, 8600 Dübendorf

 

www.stettbacher.ch