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Auswirkungen von Kälte auf die Elektronik

Bei thermischem Verhalten oder thermischer Simulation von Leiterplatten denkt jeder sofort an die Überhitzung von Bauteilen und Lötstellen sowie die daraus folgenden Probleme. Das untere Ende der Temperaturskala beschäftigt die wenigsten Designer. Da dieser Bereich wissenschaftlich noch nicht ausführlich beschrieben ist, arbeiten viele Entwickler mit Hausregeln oder Vorschriften ihrer Lieferanten.

Jahrzehntelang konnten sich Elektronik- Designer darauf konzentrieren, dass ihre Schaltungen in einem Temperaturbereich um die Raumtemperatur funktionieren. In den letzten Jahren hat sich der Einsatzort von Elektronik jedoch deutlich verändert. DSLVerteiler, Mobilfunkmasten, Smartphones oder Car-Entertainment – immer komplexere Elektronik kommt draussen zum Einsatz. Es handelt sich dabei nicht um Spezialelektronik für den Ausseneinsatz und der Preis spielt eine wesentliche Rolle.

 

Verschiedene Wärmeausdehnungskoeffizienten bedeuten Stress

Durch die bessere Leitfähigkeit der Metalle werden die elektrischen Verluste bei niedrigen Temperaturen geringer. Der Sättigungsstrom bei CMOS-Schaltkreisen verbessert sich, die ICs schalten schneller und lassen sich mit höheren Taktfrequenzen betreiben. Die minimale Temperatur, bei der CMOS-Schaltkreise getestet wurden, liegt bei etwa –230 °C (bipolar nur bei –195 °C), also 40 K über dem absoluten Nullpunkt. Das CMOS-Silizium für sich betrachtet ist somit für solche Temperaturen geeignet. Allerdings verschiebt sich die Schaltspannung nach oben, und es muss mit höheren Spannungspegeln gearbeitet werden. Das führt zu einem höheren Zerstörungsrisiko und SI-Problemen bei steileren Flanken.

Wie meistert die Raumfahrt die wohl grössten Betriebstemperaturbereiche, in der Elektronik funktionieren muss? Die Elektronik bei Satelliten wird mit Schaum und Folien isoliert, anschliessend mit Heizungen und Kühlungen die Temperatur der Elektronik auf einen kontrollierten Bereich geregelt, in dem auch konventionelle Elektronikbauteile funktionieren. Vielleicht noch gravierender als kalte oder warme Temperaturen ist der Temperaturwechsel, wenn Satelliten von der Sonneneinstrahlung in den Erdschatten fliegen oder Sonden in die Atmosphäre eintreten.

Bei Temperaturschwankungen in den Bauteilen führen die unterschiedlichen Wärmeausdehnungskoeffizienten der verwendeten Materialien dazu, dass sich die Leiterplatte, Leitungen und Durchkontaktierungen, Verbindungen von Bonddrähten, Silizium-Dies und die Balls des Packages unterschiedlich schnell ausdehnen. Durch den mechanischen Stress brechen Verbindungen auf und werden hochohmig. Darüber hinaus kann sogar das Silizium im IC-Inneren brechen oder Risse bekommen.

 

Unterschiedliche Temperaturbereiche

Neben der Luft- und Raumfahrt sind andere Branchen von niedrigen Umgebungstemperaturen betroffen. Extrem gekühlte Magnete für die Computertomographie und hochsensible, analoge Schaltungen, die bei tiefen Temperaturen betrieben werden, gehören zu den Herausforderungen der Medizinelektronik. Ein weiteres Temperaturspektrum herrscht in der Steuerelektronik im Innenraum und im Motorraum des Automobils. Neu ist dort, dass vermehrt Konsumelektronik zum Einsatz kommt und Tablets, Smartphones sowie mobile Navigationsgeräte über Nacht bzw. im Winter im Fahrzeug verbleiben. Automobilelektronik ist für tausende Temperaturzyklen von –40 bis +200 °C ausgelegt und soll anschliessend immer noch zuverlässig funktionieren.

Es ist bekannt, dass unter –20 °C der Elektrolyt in einem Kondensator langsam einfriert und hochohmig wird. Der ESR bei Elektrolytkondensatoren nimmt bei Temperaturen, die deutlich unter dem Gefrierpunkt liegen, stark zu. Gleichzeitig steigt der Verlustfaktor (tan δ) von Elektrolytkondensatoren, und durch diese Verluste werden elektromagnetische Wellen gedämpft.

 

Clock-Oszillatoren driften bei Kälte verstärkt

In IPS- und TFT-Bildschirmen sind kälteanfällige Flüssigkeitskristalle verbaut, die bei niedrigen Temperaturen einfrieren können. Sie reagieren dann nur träge bzw. gar nicht mehr auf Berührungen. Im Vergleich dazu arbeiten in AMOLED-Displays Dioden, die gegenüber Kälte widerstandsfähiger sind. Damit ein eingefrorenes Display wieder benutzt werden kann, muss es langsam und schonend aufgewärmt werden. Das Einfrieren ist nur dann schädlich, wenn es beim Temperaturwechsel zu Spannungen im Glas kommt und das Glas springt.

Clock-Oszillatoren driften bei Kälte verstärkt und A/D-Wandler können unter Umständen auch versetzte Ergebnisse liefern. Widerstände sind innerhalb des spezifizierten Temperaturbereichs konstant. Ausserhalb dürfen sie massgeblich abweichen. Präzisionswiderstände gleichen temperaturabhängige Längenausdehnungen mit Änderung der temperaturabhängigen Leitfähigkeit im Betriebsbereich aus. Dieser Abgleich funktioniert jedoch nur über eine begrenzte Temperaturspreizung. Digitale Schaltungen werden bei Kälte schneller, was zu Timing-Fehlern und Hold-Time-Verletzungen führt.

 

Kälte und Feuchtigkeit

Die Hinweise der Elektronikhersteller für die Lagerung von Geräten mit Akkus besagt, dass eine Lagerung im Kühlschrank möglich ist, um die Selbstentladung zu bremsen. Die Lagerung sollte wegen der Kondensationsproblematik unbedingt in einem luftdichten Beutel (z.B. Gefrierbeutel) erfolgen.

Beschlägt ein Display von innen, ist das kritisch. In diesem Fall sollte man das Gerät ausschalten und den Akku herausnehmen. Anschliessend lässt man das geöffnete Gerät an einem trockenen, warmen Ort für mehrere Stunden oder Tage austrocknen, bevor es wieder in Betrieb genommen wird. Abrupte Kalt– Warm-Wechsel bergen das grosse Risiko der Kondensation. Feuchte, warme Luft schlägt sich dabei im kalten Gehäuse und dem kalten Bauteil nieder. Die Nässe im Gerät kann Schaden an den Akku-Kontakten anrichten, oder das Wasser kann zu Kurzschlüssen und Korrosion führen. Dementsprechend müssen die Kriechstrecken auf den Leiterplatten für mit Wasser bedampfte Oberflächen berücksichtigt und entsprechende Abstände eingehalten werden.

 

Gefrierendes Wasser kann  Leiterplatten zum Platzen bringen

Dringt Feuchtigkeit in die Leiterplatte ein und gefriert, so kommt es durch die Anomalie des Wassers und der Volumenvergrösserung beim Gefrieren zu Ausdehnungen und der Erweiterung von Haarrissen. Über mehrere Temperaturzyklen kann gefrierendes Wasser Leiterplatten zum Platzen bringen. Das Aufquellen der Leiterplatte und entstehende Hohlräume verändern das elektrische Verhalten für Antennen und High-Speed-Signale. In den entstandenen Hohlräumen kann es auch zu kristallinen Ablagerungen innerhalb der Leiterplatte an den Anoden kommen (CAF = Conductive Anodic Filament). Plötzliche Ausfälle im Langzeitbetrieb sind die Folge.

Deshalb werden Leiterplatten, die Kälte und Luftfeuchtigkeit ausgesetzt sind, häufig in geschlossene Gehäuse (z.B. IP54) eingebaut. Luftdichte Gehäuse, die gegen Kälte helfen, sind bei höheren Betriebstemperaturen wiederum problematisch, da eine Wärmeabfuhr ohne Lüftung erschwert wird. Mit thermoelektrischen Co-Simulationen von Elektronik und Gehäuse bei verschiedenen Umgebungstemperaturen lässt sich das multiphysikalische Verhalten abbilden.

Manche Smartphones schalten sich bei extremer Kälte ab, um den Akku vor Schaden zu schützen. Einige Smartphones dürfen beispielsweise nur bei 0 bis 35 °C genutzt werden. Für die Lagerung ist ein Temperaturbereich von –20 bis 45 °C zugelassen. Bevor ein zu kaltes, kommerzielles Elektrogerät wie Navi, Smartphone oder Digitalkamera geladen oder betrieben wird, sollte daher eine halbe Stunde gewartet werden. Verbraucher riskieren unter Umständen auch ihre Garantie, wenn sie das Gerät bei eisigen Temperaturen nutzen. Wasserschäden, die zum Beispiel durch Kondenswasser entstehen, sind von der Garantie ausgeschlossen und lassen sich durch chemische Messstreifen im Gerät feststellen.

Für extrem niedrige Temperaturbereiche sollte eine Isolation durch Vakuum oder eine aktive Feuchtigkeitskontrolle zum Herabsetzen des Kondensationspunktes verwendet werden. Allerdings haben Schutzlacke gegen Feuchtigkeit nur eine begrenzte Lebensdauer.

 

Überwachung und Regelung der Temperatur

Zur Kühlung von Leiterplatten dienen Lüfter und Kühlkörper. Für viele unbekannt sind Heizungen für Leiterplatten. Diese Heizungen schalten sich ein, wenn eine minimale Temperatur erreicht ist. Auf einer Innenlage fliesst dann ein höherer Ruhestrom und die ohmschen Verluste bewirken eine gleichmässige Erwärmung der Leiterplatte von innen. Die Feuchtigkeit verzieht sich, und es kommt nicht zu Kurzschlüssen oder mechanischem Stress durch gefrierendes Wasser. Solche Induktionsschleifen lassen sich in PCB Layout Tools wie Cadence Allegro dimensionieren und die Erwärmung mit Sigrity simulieren.

 

Power up

Das Einschalten bei extrem niedrigen Temperaturen kann in der Elektronik eine lokale, schnelle Erwärmung hervorrufen, die zu mechanischen Spannungen führt. Diese Spannungen durch unterschiedliche Ausdehnungskoeffizienten und hohe Temperaturdifferenzen bewirken, dass Gehäuse platzen oder Lötstellen und Microvias bei HDI-Technologie abreissen.

Unterhalb der spezifizierten Temperatur betrieben, lassen strombegrenzende Bauteile wie PTC oder PPTC viel mehr Strom durch. Diese hohen Ströme können andere Bauteile zerstören. Bei der Simulation solcher Schaltungen ist darauf zu achten, dass die PSpiceModelle an die niedrigen Temperaturbereiche angepasst werden, da Bauteilhersteller häufig nur PSpice-Modelle für den kommerziellen Temperaturbereich liefern.

Was geschieht, wenn Bauteile unterhalb der minimalen Temperatur betrieben werden? Da sie ausserhalb der Spezifikation genutzt und bei diesen Temperaturen nicht getestet wurden, erlischt für den Kunden die Garantie bzw. alle Simulationsmodelle verlieren die Gültigkeit für diese Bereiche.

 

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