chevron_left
chevron_right

Robust ist nicht gleich zuverlässig

Was macht ein robustes Bildverarbeitungssystem aus? Welche Voraussetzungen müssen dafür erfüllt werden? Der Begriff Robustheit bedeutet in diesem Zusammenhang mehr als reine Zuverlässigkeit. Es handelt sich vielmehr um die Zuverlässigkeit, mit der ein System die natürlichen Schwankungen seiner Betriebsumgebung auffangen kann.

Dabei gibt es eine Reihe von entscheidenden Faktoren, angefangen bei den Einflüssen des industriellen Umfeldes über Abweichungen bei den Prüfobjekten bis hin zur Auswahl der einzelnen Bildverarbeitungskomponenten. Besonders letzteres stellt eine grosse Herausforderung dar, denn die optimalen Komponenten für ein Bildverarbeitungssystem auszuwählen bedarf eines profunden Know-hows und umfangreicher Erfahrung, über die meist nur Systemintegratoren und Spezialanbieter verfügen. Es gibt nämlich einen gravierenden Unterschied zwischen einer Lösung, die im Testlabor funktioniert, und einer, die sämtlichen Herausforderungen eines Einsatzes in rauer Industrieumgebung gewachsen ist.

 

Anforderungen an das Bildverarbeitungssystem

Bildverarbeitungssysteme bestehen aus vielen Einzelkomponenten, wie Optiken, Beleuchtungen, Kameras, Komponenten für die Bilderfassung und Datenübertragung sowie Software-Tools für die Bildverarbeitung, Vermessung und Auswertung. Die Möglichkeiten der industriellen Bildverarbeitung sind dank des enormen technologischen Fortschritts auf allen Gebieten exponenziell gewachsen. Die Komplexität eines Systems wird durch die spezifischen Anforderungen einer Anwendung bestimmt. Um ein robustes Bildverarbeitungssystem zu erhalten, kommt es bei der Auswahl der Komponenten nicht so sehr darauf an, dass sich mit ihnen die gewünschten Messaufgaben durchführen lassen (richtige Auflösung, Bildrate, Messalgorithmen usw.), sondern auch auf die maschinellen Voraussetzungen und die äusseren Umwelteinflüsse. 

In einem industriellen Umfeld gibt es eine Vielzahl von Einflussfaktoren wie zum Beispiel Abweichungen bei den Prüfobjekten, Handling, Positionierung, Prozessschnittstellen, Vibrationen, Umgebungslicht, Temperatur, Staub, Wasser, Öl oder elektromagnetische Strahlung. Extrem raue Industrieumgebungen erfordern oft auch den Einsatz von speziellen Schutzgehäusen wie z.B. spritzwassergeschützte Kameragehäuse in hygienesensitiven Umgebungen. Man kann jedoch durchaus auch in vielen industriellen Anwendungen auf Standardkomponenten zurückgreifen. 

 

Die industrielle Umgebung als Herausforderung

Äussere Einflüsse können zweierlei Auswirkung haben. Zum einen können sie Schäden an Bildverarbeitungskomponenten verursachen, zum anderen können sie Messergebnisse signifikant beeinflussen. Das wird besonders deutlich, wenn Bildverarbeitungssysteme starken Temperaturschwankungen ausgesetzt sind. Die meisten modernen Kameras sind für Temperaturbereiche zwischen –5 und +65˚C ausgelegt. Auch wenn die Kameras in diesem Bereich keinen Schaden nehmen, so bewirken hohe Temperaturen dennoch erhöhtes Rauschen in den Aufnahmen des Kamerasensors. Dieser Effekt lässt sich jedoch mit der richtigen Beleuchtung vermeiden, denn eine ausreichend helle Beleuchtung sorgt für eine signifikante Verbesserung des Signal/Rausch-Verhältnisses. 

Darüber hinaus beeinflusst die Temperatur die Leistung von LED-Beleuchtungen, der am häufigsten verwendeten Lichtquelle in der industriellen Bildverarbeitung. Mit zunehmender Erwärmung der LEDs nimmt ihre Helligkeit ab. Dieses Problem lässt sich durch den Einsatz einer Beleuchtungssteuerung, die die Lichtleistung an ein Temperaturkompensationsprofil der LED anpassen kann, in den Griff bekommen. LEDs selbst erzeugen neben Licht auch Wärme, was nicht nur ihre Alterung beschleunigt, sondern auch zum Totalausfall führen kann, und daher ein effizientes Wärmemanagement erfordert. 

 

Dem Temperaturbereich kommt eine tragende Rolle zu

Andere Komponenten können nach ihrer Temperaturbeständigkeit ausgewählt werden. Industrielle und Embedded-PCs beispielsweise stehen zwar mit einer enormen Rechenleistung zur Verfügung, so wie es moderne Bildverarbeitungssysteme erfordern. Werden sie jedoch in einem grossen Temperaturbereich lüfterlos betrieben, sind sie nicht selten anfällig für Fehler. 

Der Temperaturbereich spielt aber nicht nur bei der Auswahl der Bildverarbeitungskomponenten für ein robustes System eine wichtige Rolle, sondern er hat auch signifikanten Einfluss auf die zu vermessenden Prüfobjekte. So können beispielsweise Temperaturschwankungen zur Ausdehnung oder Kontraktion bei metallischen Bauteilen führen, was Abweichungen von den tatsächlichen linearen und volumetrischen Abmassen nach sich zieht. 

 

Gesamtheit der Einflussfaktoren ist zu berücksichtigen

Bei 3D-Systemen führen Änderungen in der Sensorgeometrie zu Messfehlern, es sei denn die Sensorkalibrierung beinhaltet eine Funktion zur Temperaturkompensation. Im Folgenden werden eine Reihe weiterer Umgebungsbedingungen aufgeführt, denen man durch die Auswahl der richtigen Komponenten Rechnung tragen kann, wie:

Schock und Vibration – viele moderne Kameras bieten hohe Schock- und Vibrationsfestigkeit. Für Anwendungen, bei denen sich die Kamera bewegen muss, stehen roboter- und schleppkettentaugliche Kabel zur Verfügung. Arretierbare Steckverbinder verhindern, dass sich diese durch Vibrationen lösen. Robuste PCs und Embedded-Computer bieten eine hohe mechanische Stabilität. Im Optikbereich sorgen Objektive mit fester Brennweite in Metallfassungen mit Fixierschrauben für entsprechenden Schock- und Vibrationsschutz, und Filter für den nötigen Schutz der Objektivoberfläche.

Umgebungslicht – Tageslichtsperrfilter ermöglichen den Einsatz von Bildverarbeitungssystemen unabhängig vom Umgebungslicht und kompensieren selbst stark wechselnde Lichtverhältnisse oder direkte Sonneneinstrahlung. Mit einer lichtstarken, gepulsten LED, verkürzter Sensorbelichtungszeit und kleinerer Blende lassen sich Auswirkungen von Umgebungslicht ebenfalls minimieren. Auch der Wellenlängenbereich ist entscheidend. So sind beispielsweise Messungen im Infrarotbereich nicht den Schwankungen des sichtbaren Lichts ausgesetzt. 

Staub/Schmutz/Wasser – Viele Kameras sind in Gehäusen der Schutzklasse IP65/67 erhältlich und damit wirksam vor Staub, Schmutz und Spritzwasser geschützt. Staub, Schmutz, Dampf oder Flüssigkeiten können sich auf der LED oder der Optik absetzen und somit die Lichtmenge, die den Sensor erreicht, reduzieren. Diesem Problem kann man durch verschiedene Massnahmen beikommen: durch Erhöhung des Gain-Werts bei der Kamera, durch entsprechende Software oder durch Anpassung der Ausgangsleistung der LED.

 

Äussere Einflüsse können schlechte Messergebnisse ergeben

Die Messungen werden je nach Konfiguration des Bildverarbeitungssystems durchgeführt. Intelligente Kameras verfügen über integrierte Bilderfassungs-, Verarbeitungs- und Auswertungsfunktionen. Kompakte Embedded-Systeme für anspruchsvolle Bildverarbeitungs- und Automatisierungsanwendungen, die den Einsatz mehrerer Kameras erfordern, stellen diese Funktionen in der Rechnereinheit zur Verfügung. Bei PC-basierten Systemen wird die Software auf dem PC installiert. Die Genauigkeit und Wiederholbarkeit der Messergebnisse hängt von den verwendeten Softwarealgorithmen und ihrer Subpixel-Genauigkeit ab. 

Hochwertige Softwareprodukte und -bibliotheken bieten oft robustere Softwaretools als niedrigpreisige oder Open-Source-Systeme. Oft können jedoch Unterschiede nur durch direkten Vergleich und mit unterschiedlichen Prüfumgebungen bewertet werden. Heutige Bildverarbeitungssysteme tolerieren sogar eine geringe Abweichung der Produktgrösse oder -form und können auch Naturprodukte, die zwangsläufig Abweichungen aufweisen, zuverlässig klassifizieren. Aber selbst bei den robustesten Bildverarbeitungssystemen können äussere Einflüsse zu schlechten Mess-ergebnissen führen. Beispielsweise können starke Vibrationen unscharfe Aufnahmen verursachen oder eine abweichende Teilezuführung kann zur Folge haben, dass das Prüfobjekt aus einer anderen Perspektive erfasst wird. Bei bewegten Objekten ziehen zu lange Belichtungszeiten möglicherweise Bewegungsunschärfe nach sich. 

 

«What you see is NOT what you get»

Ein Fallstrick für den ungeübten Bildverarbeiter ist der signifikante Unterschied zwischen dem menschlichen Auge und dem Bildaufnahmesystem. Das menschliche Auge passt sich einem erkennbar hohen Dynamikumfang automatisch an, während eine fest installierte Kamera nicht in der Lage ist, gleichzeitig sehr helle und sehr dunkle Bereiche zu erfassen. Durch ein Oberlicht einfallende Sonneneinstrahlung oder der Schatten des Maschinenbedieners können Aufnahmen signifikant verändern, während das menschliche Auge diese Einflüsse unbewusst kompensiert. 

 

Planung und Spezifikation eines Bildverarbeitungssystems

Die Planung, Spezifikation und Implementierung eines geeigneten Bildverarbeitungssystems sollte mehr beinhalten als nur die Auswahl der robustesten Bildverarbeitungskomponenten. Eine Möglichkeit ist die Nutzung der VDI-Richtlinien VDI/VDE/VDMA 2632 für die industrielle Bildverarbeitung, herausgegeben von der VDI/VDE-Gesellschaft Mess- und Automatisierungstechnik, die in Zusammenarbeit mit dem VDMA Industrielle Bildverarbeitung in Deutschland entwickelt wurde. Teil 2 dieser Richtlinie beinhaltet den «Leitfaden für die Erstellung eines Lastenheftes und eines Pflichtenheftes», in der die Darstellung und Beschreibung von Einflussfaktoren sowie deren Auswirkungen besonders hervorgehoben werden. Dieses Framework beginnt den Spezifikationsprozess, indem es die Applikation im Detail bewertet, wie:

exakte Ermittlung der durchzuführenden Messaufgabe

genaue Festlegung der Zielvorgabe der Prüfung, der zu validierenden Merkmale und Musterteile und der besonderen Anforderungen

Identifikation aller Details des Prüfobjekts wie z.B. Typenspektrum, vorgelagerte Prozesse, Objektkontaminierung, thermische/mechanische Objektstabilität

genaue Beschreibung des Vorgangs in Bezug auf Positionierung, Maschine und Umfeld, störende Umgebungseinflüsse 

genaue Beschreibung des Prozesses, einschliesslich Prozessintegration, Schnittstellen, räumliche Einschränkungen, Betriebsmodi

Ermittlung von Zusatzinformationen, wie z.B. Mensch-Maschine-Schnittstelle, Bedien-

konzept, Visualisierung

 

Schulungen mit der European Imaging Academy

Das Vorgehen nach dieser Richtlinie (VDI/VDE/VDMA 2632-2) ermöglicht nicht nur die Ermittlung einer optimierten Lösung, sondern stellt auch sicher, dass bei der Angebotseinholung von mehreren Lieferanten neben denselben Begriffen und Definitionen auch eine konsistente Terminologie verwendet wird. Dadurch ist eine exakte Vergleichbarkeit zweier Systeme gewährleistet. 

Um das Bewusstsein dafür zu schärfen, wie die Richtlinie VDI/VDE 2632-2 dazu beitragen kann, Bildverarbeitung erfolgreich in Produktionsanlagen zu integrieren, führt Stemmer Imaging in Zusammenarbeit mit der European Imaging Academy eine Reihe von Schulungen durch. Diese sind ideal für Anwender, die ein Machine-Vision-Projekt realisieren möchten, da ihnen vermittelt wird, welche Fragen an den Lieferanten wichtig sind und wie sie die Qualität und Vollständigkeit eines Angebots bewerten müssen. Auf diese Weise können sie sicher sein, dass sie ein wirklich robustes Bildverarbeitungssystem erhalten.

 

Infoservice

Stemmer Imaging AG

Eichenstrasse 2, 8808 Pfäffikon SZ

Tel. 055 415 90 90, Fax 055 415 90 91

info@stemmer-imaging.ch

www.stemmer-imaging.ch