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Industrie 4.0 schmackhaft dargestellt

Industrie 4.0 – der Begriff ist in aller Munde, doch wer kann sich etwas Konkretes darunter vorstellen? Die Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW), der Industrieanlagenbauer Autexis und die Chocolat Frey haben gemeinsam ein kleines Kommissioniersystem entwickelt, das individuelle Schokoladenmischungen zusammenstellt und gleichzeitig den abstrakten Begriff der Industrie 4.0 anschaulich darstellt.

Auf der Hannover Messe 2011 tauchte der Begriff «Industrie 4.0» erstmals auf. Die deutsche Bundesregierung hat ihn damals initiiert, um die Digitalisierung voranzutreiben. Inzwischen haben sich Firmen weltweit «Industrie 4.0» auf die Fahne geschrieben. Doch was bedeutet das genau? Auch Markus Krack, Leiter des Technologietransfers FITT der Hochschule für Technik der FHNW ist immer wieder mit dieser Frage konfrontiert: «Alle sind sich einig, dass Industrie 4.0 etwas sehr tolles ist – doch real vorstellen können es sich nur wenige.»

 

Individualisierte Massenproduktion

Viele seien der Meinung, mit CAM-Systemen, CAD und CNC-Steuerungen wäre Industrie 4.0 umgesetzt. Krack verneint: «Mit Industrie 4.0 soll die Massenproduktion, wie wir sie zum Beispiel vom VW Käfer kennen, individualisiert werden.» Im Vorfeld der Konferenz zur «Industrie 2025» an der FHNW setzte Krack seine Idee um und veranschaulichte den Begriff mit einem kleinen Kommissioniersystem. Automationspartner wurde die Firma Autexis Holding AG mit Sitz im aargauischen Villmergen. Wie die FHNW pflegt auch Autexis eine langjährige Partnerschaft mit Chocolat Frey. So wählten die Projektpartner als Beispiel für Industrie 4.0 einen Teil der Schokoladenproduktion. «Wir wollen mit dem Kommissioniersystem ein Erlebnis bieten. Deshalb wählten wir ein Produkt und ein Problem, das alle kennen», erklärt Krack.

 

Schokoladenmischung nach Geschmack

In Arztpraxen oder auf Messen liegen sie oft am Empfang oder bei Ständen aus: kleine, einzeln verpackte Schokotäfelchen, die sogenannten Naps. Wer kennt das Problem nicht, dass immer die falschen in der Schale liegen und zu wenige von der Lieblingssorte in der Packung sind? Das neue Kommissioniersystem löst diese Herausforderung: Via Twitter kann der Kunde bei Chocolat Frey jederzeit und von jedem Ort aus Schokolade bestellen. Krack beschreibt: «Ich kann zum Beispiel drei Naps schwarze Schokolade und einige mit Nuss bestellen und die Packung mit Vollmilchschokolade auffüllen lassen. Weisse Schokolade lasse ich ganz weg.» 

Die Bestellung wird ins Produktionsprogramm des Kommissioniersystems aufgenommen, ohne dass der Mensch eingreifen muss. Ein sechsachsiger Roboter stellt die Mischung zusammen und füllt sie in eine Kunststoffdose, die der Verpackungsspezialist Pacovis in Lenzburg für das Projekt gesponsert hat. Die Dose wird mit einem Label und der notwendigen Produktdeklaration versehen, verschlossen und versandt. Chocolat Frey sieht Potenzial in der individualisierten Massenproduktion. Fabian Sigg, stellvertretender Leiter der Produktion bei Chocolat Frey, erklärt: «Momentan sind diese Prozesse sehr teuer, da unsere Produktion auf Masse ausgerichtet ist und individuelle Bestellungen von Hand abgepackt werden.» Konkrete Pläne für eine individuelle Massenproduktion gibt es bei Chocolat Frey allerdings noch nicht: «Wir müssten dafür unsere ganze Produktion umstellen. Das ist ein Prozess, der genau geprüft werden muss.» 

 

Per App gesteuert

Finanziert wurde das smarte Kommissioniersystem mit Institutsgeldern der FHNW. «Die Produktion war ein Kraftakt», erzählt Krack und lacht. «Alle haben mitgearbeitet. Auch unsere Professoren haben programmiert, das kommt eher selten vor.» Die Partner setzten vor allem auf Produkte und Lösungen von Siemens. «Wir nutzten MindSphere, das offene Cloud Ecosystem von Siemens. Darin laufen unsere Autexis-Apps», sagt Philippe Ramseier, Geschäftsinhaber von Autexis. Die Hardwarekomponente MindConnect sammelt die Daten von Sensoren und Aktoren und übermittelt sie in die MindSphere-Cloud. Eine Simatic S7-1500 von Siemens steuert den Kuka-Roboter, der die individuellen Mischungen zusammenstellt. Die Steuerungssoftware des Systems wurde im TIA Portal V15 programmiert; bedienen lässt sich das Kommissioniersystem über zwei Siemens-Panels, ein mobiles und ein fest montiertes an der Anlage. 

Autexis arbeitet bereits seit 35 Jahren fast ausschliesslich mit Produkten von Siemens. «Diese Strategie hat sich bewährt», sagt Ramseier. Dank dieser langjährigen Partnerschaft und einem offenen, partnerschaftlichen Austausch mit Siemens kann sich Autexis bei der Entwicklung neuer Produkte und Services einbringen. Auch für Markus Krack und die FHNW ist es eine gute Wahl: «Im industriellen Umfeld ist Siemens Stand der Technik. Unsere Studenten müssen damit umgehen können.»

 

System lässt sich beliebig ausbauen

Für die Messe Hannover implementierte das Projektteam von Autexis neue Services. Lagerbestände oder Betriebsdaten des Roboters waren damit direkt am Kommissioniersystem sichtbar. «Zudem gibt nun ein personalisiertes Label dem Kunden mit Augmented Reality zusätzliche Informationen zum Produkt, wie zum Beispiel die Herkunft der Schokolade oder die enthaltenen Kalorien», sagt Ramseier. «Das System lässt sich fast beliebig ausbauen», ergänzt er. «Wir können zum Beispiel das Lager integrieren: Fällt der Bestand der Naps unter einen Mindestwert, wird automatisch eine Bestellung ausgelöst.» Auch einen digitalen Zwilling soll die Anlage erhalten. In einem ersten Schritt wird dieser von der physischen Welt lernen. Ziel ist allerdings ein gegenseitiges Lernen, ein sogenanntes Cyberphysical System. Damit können neue Produktionen vor ihrer Inbetriebnahme digital simuliert, Fehler im Voraus bereinigt und Mitarbeiter am digitalen Zwilling geschult werden. Siemens und Autexis werden diese Innovationen an der Swiss Industry 4.0 Conference demonstrieren.

 

Innovationskiste

Das Kommissioniersystem kann die ganze Wertschöpfungskette und alle möglichen Funktionen auf einfache, genussvolle Art anschaulich darstellen. Auch heiklere Themen lassen sich zeigen: Auf Basis der mit dem System gesammelten Daten lassen sich Vorlieben und Bestellgewohnheiten der Kunden analysieren. Wer mag was? Wann bestellt wer Schokolade? Ist das Verhalten der Kunden vom Wetter abhängig? «Bestellt ein Kunde besonders viel Schokolade, könnte man ihm einen Prospekt vom Fitnesscenter mitschicken», lacht Krack. Für Chocolat Frey ist das Kommissioniersystem eine Innovationskiste, an der man gewisse Prozesse testen kann. Die so gewonnenen Erkenntnisse können später in den operativen Prozess einfliessen. Auch Krack ist voll des Lobes für das Projekt: «Es ist natürlich im Sinn der Forschung, das System auszubauen und weitere Prozesse daran zu entwickeln. Und für uns als Fachhochschule ist es Pflicht, neue Möglichkeiten aufzuzeigen und zu demons­trieren, wo die Reise hingehen kann.» 

 

Infoservice

Siemens Schweiz AG

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