chevron_left
chevron_right

Mann über Bord gibt’s nicht mehr

Mitten im Atlantik wird ein Öltanker vor einem Sturm gewarnt. Um dem Schlimmsten zu entgehen und dennoch fristgerecht ans Ziel zu kommen, wird automatisch ein neuer Kurs berechnet und angelegt. Schiffseigner und Hafenmeister erfahren von der Kurskorrektur. Als sich das Riesenschiff dem Ufer nähert, erfolgt eine erneute Kurskorrektur wegen eines Fischerschiffs. Dies geschieht alles ohne Mann an Bord.

 

Schiffe ohne Besatzung erlauben völlig neuartige Transportschiffe. Man könnte damit auch Fracht in Küstennähe mit kleineren, zweckgebunden, autonomen Schiffen anstelle auf überfüllten Strassen befördern. Das MUNIN Project zeigt auf, dass es keine unüberwindbaren Hindernisse für den Betrieb von völlig autonomen Frachtschiffen, sprich ohne Besatzung an Bord, mehr bestehen. MUNIN steht für Maritime Unmanned Navigation through Intelligence in Networks.

 

Abwägung zwischen Automatisierung und Einsatz von Menschen

 

Was sich in der Praxis durchsetzen wird, hängt gewiss auch von den diversen Geschäftsmodellen ab. Gewiss darf man von völlig autonomen Schiffen – also ohne Besatzung – den grössten Nutzen erwarten. Doch dieses Konzept kann nur über einen evolutionären Ansatz, sprich durch schrittweises Automatisieren von bemannten Schiffen, umgesetzt werden.

 

Das Ziel der Automatisierungen und Autonomisierung von Frachtschiffen besteht darin, Fracht effizient und zeitgerecht von einem Hafen zum anderen zu transportieren. Ein Transport durchläuft verschiedene Phasen mit unterschiedlichsten Komplexitäten und Gefahren. Für jede Phase muss eine Abwägung zwischen der Automatisation – Komplexität der Sensorik und Automationssystem –, und der von Menschen kontrollierten Steuerung gemacht werden. Daraus lassen sich folgende Automatisierungsalternativen unterscheiden:

  • konventionell bemannte Schiffe, wo Systeme die Besatzung unterstützen, zum Beispiel bei Kollisionswarnung oder in der Routenplanung
  • Schiffe, die in der Nacht auf hoher See und bei gutem Wetter sich selbst steuern und die Besatzung nur bei hoch komplexen Problemen eingreift
  • Schiffe, welche auf hoher See völlig autonom fahren und nur bei der Aus- und Einfahrt in den Hafen von Menschen an Bord kontrolliert werden
  • völlig autonom gesteuerte, unbemannte Schiffe, von der Ausfahrt bis zur Einfahrt in den Zielhafen

 

Bei den letzten drei Varianten muss man ein permanent besetztes Kontrollzentrum an Land haben. Im Weiteren muss man auch die verschiedenen Typen von Handelsrouten unterscheiden. Es gibt Routen, wo Schiffe Wochen auf hoher See mit grossem Wettereinfluss und relativ tiefen Verkehrsaufkommen sind sowie Küsten- oder Flussrouten mit hohem Verkehrsaufkommen, wo das Wetter eher eine untergeordnete Rolle spielt.

 

90% der Fracht werden weltweit durch Schiffe transportiert

 

2010 wurden 1,2 t Fracht und Güter pro Person auf der Welt durch Schiffe transportiert. So oder so «Die Frachtschifffahrt ist die Lebensader der Weltwirtschaft». Darum ist jede Effizienzsteigerung von grossem Interesse. Rolls-Royce startete die Initiative «Advanced Autonomous Waterborne Applications (AAWA)». Das Unternehmen will damit bis zum Ende der Dekade eine Technik entwickeln, mit der man Schiffe ferngesteuert kontrollieren oder voll autonom betreiben kann.

 

Das Projekt MUNIN der Europäischen Union, angeführt durch das Fraunhofer Institut für Maritime Logistik und Service in Hamburg, untersucht die technischen, ökonomischen und rechtlichen Aspekte für die Machbarkeit des Betriebs der unbemannten Frachtschifffahrt. Weitere Organisationen wie DBV GL, eine internationale Zertifizierungsbehörde für Schiffe sowie die Chinesische Maritime Sicherheitsbehörde und die Technische Universität Wuhan sind in diesem Gebiet tätig. Man darf also grosse Fortschritte erwarten. Teilweise tönt es noch etwas futuristisch, es ist aber eher die Frage, bis wann diese Technologie verfügbar ist und nicht die Machbarkeit.

 

Autonome Schiffe bedeuten mehr Sicherheit für Mensch und Umwelt

 

In der heutigen Schifffahrt hat der menschliche Faktor bei Unfällen den grössten Einfluss. Danach folgen der Ausfall von Komponenten und dann erst die Verursachung durch Dritte, wie Kollisionen mit anderen Schiffen. Eine Erhöhung der Automatisierung und Entscheidungsunterstützung kann die Unfallzahl reduzieren. Dieselbe Technologie hat das Potenzial, Ausfälle von Komponenten vor dem Entstehen anzuzeigen. In der letzten Konsequenz sind diese Technologien Voraussetzung für die völlig unbemannte Schifffahrt. Sicherheit von Schiffen und deren Konsequenzen sind auch für die Umwelt von Bedeutung.

 

Als Beispiel: Die Unfallkosten des Öltankers Prestige beliefen sich auf 10 Mrd. Euro, der von Exxon Valdez bedeutete für Exxon Kosten von 3,5 Mrd. Dollar, ohne die irreparablen Umweltschäden. Schiffe, die für die unbemannte Nutzung ausgelegt sind, lassen völlig neue Konstruktionsarten zu. Keine Räume und Geräte für die Mannschaft, die unterhalten werden müssen. Dies führt zu Einsparungen im Energiebedarf bei grösserem Frachtvolumen und gleicher Geschwindigkeit.

 

Neue Anwendungen für die Schifffahrt

 

Autonome und unbemannte Schiffe erlauben neue Typen von Küsten- und Flussschiffen wie z.B. elektrisch autonome Kleinstschiffe. 40% der EU-Bevölkerung lebt in der Nähe von Küsten oder schiffbaren Flüssen. Fracht kann von Hochseehäfen völlig automatisiert auf kleineren Schiffen an kleinere regionale Häfen angeliefert werden. Für die Verteilung der Fracht innerhalb von 300 bis 500 km entlang der Meeresküste steht die Schifffahrt in direkter Konkurrenz mit dem Lastwagen. Hier lässt sich, durch die Reduktion der Personalkosten und die Erhöhung der Flexibilität dank Automatisierung, das Gewicht zugunsten der Schifffahrt verschieben.

 

Ein völlig neues Wirkungsgebiet kann die letzte Meile in der Frachtverteilung werden. Diese wird heute vollständig vom Strassentransport beherrscht. Kleine batteriebetriebene autonome Schiffe können die zerklüfteten Küsten und die Flüsse ausnutzen, um ihre Fracht kosteneffizienter als der Strassenverkehr zu transportieren. Ein weiteres neues Anwendungsgebiet kann der Fährbetrieb auf schwach besiedelten Inseln oder Küstenregionen sein. Der Bau von Brücken oder der Betrieb von unrentablen bemannten Fährbetrieben kann durch autonome und unbemannte Fähren substituiert werden. Ein grosser Vorteil liegt darin, dass diese jederzeit bei Bedarf angefordert werden können.

 

Mannschaft betreut Passagiere, Fracht und führt Wartungsarbeiten aus

 

Es gibt viele offensichtliche Vorteile der unbemannten, autonomen Schifffahrt, trotzdem dürfen ein paar Punkte nicht unterschlagen werden. Am Anfang wird die Anzahl der Häfen, die solche autonomen Schiffe abfertigen können, entscheidend sein. Passagiertransport mit unbemannten Schiffen ist an sich ein Widerspruch in sich. Auf kürzere Distanzen und für wenige Passagiere gibt es zufriedenstellende Lösungen. Für Kreuzfahrtschiffe wird es nie unbemannte Schiffe geben. Ein Teil der Fracht muss heute von der Mannschaft während der Fahrt überwacht und teilweise gar betreut werden. Ein gutes Beispiel sind Kühlcontainer. Ein Ausfall kann dazu führen, dass die Fracht verdirbt, sich verflüssigt, überhitzt oder andere Gefahren für das Schiff erzeugt. Mit erhöhtem Einsatz von Sensortechnologie kann dem entgegengewirkt werden, aber komplexe Interventionen können auf unbemannten Schiffen nicht durchgeführt werden. Das bedeutet, dass solche Fracht identifiziert und nur durch bemannte Schiffe zu befördern ist.

 

Die Mannschaft führt heute Reparatur- und Wartungsarbeiten während der Fahrt aus. Dies führt dazu, dass unbemannte Schiffe so konzipiert sein müssen – evtl. mit redundanten Systemen – , dass sie, wenn immer möglich, den Zielhafen sicher erreichen und dort die fehlerhaften Systeme schnell ausgetauscht werden können. Längere Liegezeiten reduzieren den Effizienzgewinn oder vernichten ihn sogar. Da ohne Besatzung keine Wartungsarbeiten mehr ausgeführt werden können, sind die Schiffe mit quasi wartungsfreien Systemen auszurüsten, oder falls nicht möglich, müssen diese Komponenten im Hafen schnell ausgetauscht werden; somit werden die Wartungsarbeiten an Land verlegt.

 

Piraterie und unbemannte Schiffe

 

Auf der einen Seite lässt sich bei autonomen Schiffen konstruktionsbedingt den Piraten das Entern der Schiffe erschweren. Auf der anderen Seite nimmt, durch die erhöhte Anzahl der ICT-Systeme und die notwendigen Verbindungen zum Kontrollzentrum an Land, die Gefahr der Cyber-Piraterie zu. Diese Gefahr besteht nicht nur für die unbemannten und ferngesteuerten Schiffe. Die bemannte Schifffahrt, die Luftfahrt, der Schienenverkehr und sogar die Automobile haben immer mehr vernetzte Computersysteme, die vor Hackern zu schützen sind. Dieses Risiko lässt sich nicht vermeiden, aber durch Technologie auch nicht verhindert, solange kein hoher ökonomischer Verlust nachgewiesen werden kann.

 

Die Schritte bis zur unbemannten Schifffahrt

 

Schiffe sind um Dimensionen grösser und weniger gut manövrierbar als bereits bekannte, autonome Systeme wie Automobile und Stras­senbahnen. Die einzelnen Systeme werden von verschiedenen Herstellern entwickelt und müssen miteinander abgestimmt und international zertifiziert werden. Es ist fraglich, wie viel von bestehenden Systemen von anderen autonomen Anwendungen auf die Schifffahrt adaptiert werden können. Es führt kein Weg daran vorbei, das autonome Schiff muss als Ganzes konzipiert und entwickelt werden. Die Entwicklung und der Bau von Schiffen sind sehr kapitalintensiv. Investoren sind eher konservativ gegenüber neuen Konzepten und risikobewusst. Dies führt dazu, dass die Entwicklungsschritte empirisch und lang nicht intensiv sein werden. Es gibt verschiedene Wege zur unbemannten Schifffahrt. Einer ist die Entwicklung neuer Spezialschiffe, die man in neuen Geschäftsfeldern wie Passagier- oder Autotransport auf kurzen Distanzen einsetzen kann. Ein anderer ist die Betrachtung von kleinen, autonomen Frachtschiffen für die Feinverteilung, über mittlere Frachtschiffe für die regionale Abdeckung, bis zum interkontinentalen unbemannten Frachtschiff. Ein weiterer Weg zeigt die Entwicklungsfelder in der Automatisierung auf. 

 

Infoservice

 

Thomas Hauser

Langackerweg 10, 5030 Würenlingen

Tel. 079 573 20 27

thomas.hauser@fael.ch, www.fael.ch