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Instrumente mit intuitiver Bedienung – ein Must für Chirurgen

Instrumente mit intuitiver Bedienung, die gut in der Hand liegen, sind eine wesentliche Voraussetzung für alle Chirurgen. Für laparoskopische Chirurgen, die mechanische Eingriffe durch 5 bis 15 mm lange Schnitte durchführen, sind solche Instrumente von entscheidender Bedeutung.

 

Es benötigt viele Entwurfsiterationen, um Steuerung und Haptik eines laparoskopischen Geräts zu perfektionieren. Bei jeder Konstruktionsänderung kann es Wochen dauern, bis diese umgesetzt ist. Ethicon Endo-Surgery, Inc. verwendet einen Rapid-Prototyping-Workflow auf Grundlage von Model-Based Design, der es erlaubt, Entwurfsverbesserungen in Minuten umzusetzen und dadurch die Entwicklungszeit um Monate zu verkürzen.

 

In drei Monaten zum Prototyp

 

Mit diesem Workflow gelang es, in nur drei Monaten einen Prototyp für ein endoskopisches chirurgisches Klammerinstrument zu entwerfen und zu bauen. Ethicon hat MATLAB und Simulink verwendet, um den Motor und die Steuerung des Klammerinstruments sowohl zu modellieren als auch zu simulieren. Danach wurde mit Embedded Coder der Code für OnTarget Rapid Prototyping generiert. Mit Hilfe dieses Ansatzes konnten die Entwickler einen Prototyp bauen, den die Chirurgen als angenehm, stabil und intuitiv einschätzen, während gleichzeitig die Systemanforderungen vor Produktionsbeginn verfeinert wurden.

 

Von Nähten und Klammern zu Embedded-Steuerungen

 

Die meisten Operationen haben drei Schritte gemeinsam: den Schnitt durchführen, das den Einschnitt umgebende Gewebe klammern und das Gewebe vernähen. In der Laparoskopie wird all das durch winzige Schnitte durchgeführt. Dabei wird oft ein endoskopisches Cutter-/Klammerinstrument – auch Endo-Cutter genannt – verwendet, das Klammern statt Nähte verwendet, um den Einschnitt zu schliessen. Bei den ersten in den 70er-Jahren entwickelten Endo-Cuttern mussten die Chirurgen erhebliche Handkraft aufwenden, was zu Ermüdung führte. 2011 führte Ethicon den ersten elektrischen Endo-Cutter der Branche ein, der über einen per Knopfdruck bedienten Motor verfügt, was die Präzision und Stabilität erhöhte.

 

Wahl von Model-Based Design für Endo-Cutter-Motorsteuerung

 

Da die Maschinenbauingenieure bei Ethicon bereits den ersten Endo-Cutter entwickelt hatten, besassen sie auch Fachwissen über Gerätemechanik. Das Team hatte jedoch relativ wenig Erfahrung in der Entwicklung von integrierten Steuerungssystemen. Bei früheren Projekten, bei denen Steuerungssoftware notwendig war, wurde die Prototypentwicklung normalerweise ausgelagert.

 

Diese Herangehensweise war nicht nur für die Umsetzung des ersten Prototyps hindernd, sondern auch bei nachfolgenden Entwurfsüberarbeitungen. Auch war es schwierig, das intern vorhandene Wissen über die Gerätefunktionen und wie die Chirurgen diese verwenden würden, in klar definierten Anforderungen zu formulieren. Darüber hinaus hat man aus dem Prozess wenig gelernt – die Erkenntnisse über die wesentliche Funktion des Steuerungssystems eigneten sich Dritte an.

 

Durch die Verwendung von Model-Based Design für den neuen Endo-Cutter liess sich nun das Fachwissen in den Bereichen Maschinenbau und Biomedizin direkt in der Entwicklung von Motorsteuerungen und Vorproduktionsprototypen anwenden.

 

Charakterisierung des Motors und Bau des Steuerungsmodells

 

Erste Aufgabe war es, ein Anlagenmodell für den Motor in Simulink zu entwickeln. Dazu verband man den Motor mit einer Steckplatine, die mit einem TI-F28335-Prozessor lief. Dann wurde einfacher Code implementiert, über den der Prozessor den Motor antreibt, und man führte bei laufendem Motor Messungen durch. Als nächstes verwendete Ethicon Simulink Design Optimization, um die Messdaten zu importieren und Parameterschätzungen für das Anlagenmodell durchzuführen.

 

Simulink Design Optimization hat das Modell in Motordrehmomentkonstante, Gleitreibung, Trägheitsmoment und viele weitere Parameter eines nichtlinearen Modells aufgelöst, deren präzise Charakterisierung oft lange Zeit in Anspruch nimmt. Das Modell wurde später noch verfeinert, um Nachlauf zu erfassen. Des Weiteren wurde das Anlagenmodell erweitert, um die Gewebeumgebung zu berücksichtigen, in der der Cutter eingesetzt wird. Sobald ein präzises Anlagenmodell vorlag, begannen die Entwickler mit der Modellerstellung des Steuerungssystems mit Simulink und Stateflow.

 

14 Schalter und Sensoren für die Steuerungseingabe

 

Die Steuerungseingaben umfassen 14 Schalter sowie Sensoren, die die Stromaufnahme des Motors, den Spannungsabfall über dem Motor und die Position des Antriebs erfassen. Mit Simulink wurden die Sensoren, eine I2C-Schnittstelle und ein Pulsweitenmodulator zur Steuerung des Motors modelliert. Mit Stateflow wurden die Zustandsübergänge in der Steuerung modelliert. Zustandsraum-Entwurfsmethoden und MATLAB kamen zur Entwicklung eines Kompensators zum Einsatz.

 

Nach der Durchführung von geschlossenen Simulationen in Simulink zur Überprüfung und Verfeinerung des Steuerungsentwurfs, kam Embedded Coder zum Einsatz, um C-Code zu generieren. Der kompilierte Code wurde auf der TI-C2000-Steckplatine bereitgestellt. Mit dem tatsächlichen Motor wurden nun Echtzeittests durchgeführt.

 

Einbeziehung der Rückmeldung von Chirurgen

 

Die Hardwareerstprüfungen bestätigten, was in den Simulationen festgestellt wurde: Die Motorsteuerung positionierte auf Befehl das Gerät präzis. Dieses Ergebnis war jedoch nur die Vorstufe zu viel wichtigeren Labortests. Durch den realen Einsatz des Endo-Cutters bemerkte man, dass er sich bei bestimmten Bewegungen zu schnell und bei anderen zu langsam bewegte. Die Experten passten das Steuerungsmodell in Simulink an, erstellten den Code erneut und aktualisierten zügig die integrierte Software in den Entwurfsiterationen, bis das Team den Eindruck hatte, dass der Endo-Cutter richtig und intuitiv reagierte.

 

Dann kamen Chirurgen zu den Gerätetests mit der Bitte um Rückmeldungen. Diese wurden mit dem gleich schnellen iterativen Zyklus in den Entwurf eingearbeitet. Innerhalb von Minuten nach dem Vorschlag der Chirurgen war bereits ein aktualisiertes Steuerungssystem testbereit. Dank Model-Based Design war diese Feinabstimmung einfach. Bei einer allfälligen Auslagerung des Entwurfs hätte jede Iteration Wochen oder Monate in Anspruch genommen.

 

Entwurf und Bau eines seriennahen Prototyps

 

Der erste Prototyp wurde mit einem verhältnismässig leistungsstarken Prozessor und mehreren hochauflösenden Sensoren entworfen. In Vorbereitung auf die Produktion mit preiswerteren Komponenten begann der Entwurf eines zweiten Prototyps mit Hardware, die mit der in der Produktion eingesetzten vergleichbar ist. Dazu gehörten ein weniger leistungsstarker Cortex-M4-Prozessor und ein Sensor mit niedrigerer Auflösung. Während man auf die Bestückung der Platine mit diesen Komponenten wartete, wurde das Simulink-Steuerungsmodell abgeändert, um diese Änderungen wiederzugeben. Zum Beispiel kamen Spezifikationen des Sensordatenblatts zur Anwendung, um das Teilmodell des Sensors zu aktualisieren.

 

Die Simulationen zeigten Fehler im digitalen Signalverarbeitungsalgorithmus auf. Man entwarf neue Filter, die das Problem beseitigten, was per Simulation verifiziert wurde – noch bevor die Hardware fertig war. Ausserdem führten die Techniker eine «WENN-Analyse» durch, um eine niedrigere Grenze für die Sensorauflösung zu bestimmen, die das Einhalten der Submillimetertoleranzen für die Positionierung noch gewährleistet.

 

Framework dient als Schnittstellenschicht

 

Gemeinsam mit einer Drittanbieter-Software-entwicklungsgruppe entwickelte man ein Software-Framework, das untergeordnete Aufgaben durchführt, um Unterbrechungen und Peripherie zu initialisieren und so die Codegenerierung mit dem Zielprozessor zu unterstützen. Dieses Framework dient als Schnittstellenschicht zwischen dem Steuerungscode, der mit dem Embedded Coder generiert wurde, und den manuell codierten Peripheriegeräten für den Prozessor. Die Trennung von Algorithmuscode und Schnittstellenschicht erhöht die Übertragbarkeit des generierten Algorithmuscodes, falls in Zukunft entschieden wird, diesen auf einem anderen Prozessor einzusetzen.

 

Als die neue Hardware im Labor ankam, zahlten sich die in Simulink ausgeführten Simulationen und Verifizierungen aus. Innerhalb einer Woche lief eine stabile Version der Steuerung und man nahm nach Rückmeldungen des Teams und der Chirurgen, die den neuen Prototyp testeten, die Verfeinerungen im Labor wieder auf.

 

Vom Prototyp zur Produktion innert kurzer Zeit

 

Der erste Machbarkeitsnachweis wurde mit Model-Based Design in etwa drei Monaten erbracht. Die Fertigstellung ähnlicher Projekte, die früher ausgelagert wurden, hat etwa 18 Monate in Anspruch genommen. Zusätzlich hat das Entwicklerteam jetzt detaillierte Kenntnisse der kleinen aber feinen Entwurfs­einzelheiten und Entscheidungen, die Teil einer Steuerung sind. Man weiss jetzt zum Beispiel, wie viel Prozessorverzögerung einkalkuliert werden muss und welche Motordrehzahlen für den Chirurgen am angenehmsten sind. Diese Details erfährt man nur, wenn man einen Prototyp baut; für das Ethicon-Team war die Verwendung von Model-Based Design mit Simulink die beste Möglichkeit, solch einen Prototyp so schnell zu bauen.

 

Für den Übergang zur Produktion plant man, mit einem Entwicklungsteam zusammenzuarbeiten, das direkte Erfahrungen bei der Entwicklung von Software für Medizinprodukte hat. Ethicon hat jetzt das nötige Wissen, um detaillierte und genaue Anforderungen zu verfassen, wodurch der Umsetzungsprozess optimiert wird. Währenddem wird der Prototyp weiterentwickelt und verbessert. 

 

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