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Amazon ante portas

Bald öffnet die electronica 2016 ihre Tore. Über 3200 Aussteller aus aller Welt buhlen um das Publikum.Noch stellt Amazon nicht in München aus. Ob das so bleibt, weiss alleine Amazon. Fakt ist, dass der Onlinehändler mehr und mehr elektronische Komponenten im Angebot hat und damit auf das B2B- Business abzielt. Bei unserer Umfrage zu diesem Thema nahmen zwei Distributoren teil.

 

Amazon steht für rund 270 000 Mitarbeiter, über 100 Mrd. Dollar Umsatz, für eine ausgezeichnete Logistik, extrem kurze Reaktionszeiten, perfektes Reklamationsmanagement und unkomplizierte Rückgabeprozesse. Wer regelmässig beim Onlinehändler im Umfeld von Elektronik einkauft, kann feststellen, dass das Angebot an elektronischen Komponenten sukzessive zunimmt. Die Anzahl Treffer liegt bei vielen Produkten schon bei deutlich über 10 000, wie einige Beispiele zeigen (Anfragen via www.amazon.de am 17. Oktober 2016)

  • Kondensatoren: über 79 000
  • Prozessoren: über 70 000
  • OLED-Display: über 20 000
  • Widerstände: über 10 000
  • Raspberry Pi: über 6000

 

Wir wollten wissen, ob und wie sich dieses Amazon-Angebot auf die traditionelle Distribution auswirkt, und stellten global und lokal aktiven Distributoren vier Fragen. Antworten bekamen wir von Christina Aqvist, CEO Distrelec Group, und Tilo Rollwa, Director E-Commerce Rutronik Elektronische Bauelemente GmbH.

 

Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Angebot von Amazon im Bezug auf elektronische Komponenten?

 

Aqvist: In den geografischen Märkten und den Business-to-Business-Marktsegmenten, in denen der High-Service-Distributor Distrelec aktiv ist, ist Amazon bisher kein direkter Wettbewerber.

 

Rollwa: Es gibt nur vereinzelt elektronische Bauteile im Amazon-Angebot. Keine Produktstrategie, keine Parametersuche – nur direkte Eingabe der Herstellernummer ist möglich. Es gibt keine eigene Kategorie Komponenten. Angebote sind in Kleinmengen von Kleinstlieferanten vorhanden, ohne technischen Support zu sehr hohen Einzelpreisen.

 

Wie reagiert Ihr Unternehmen auf den immer stärkeren Marktauftritt von Amazon in «Ihrem» Business?

 

Aqvist: Wir beobachten den Markt, darunter auch Amazon. Wir sind sicher: Zuverlässigkeit, Qualität und qualitativer technischer Kundensupport sind der Schlüssel zum Erfolg. Unser Geschäftsmodell basiert auf jahrzehntelanger Erfahrung. Wir haben es mit Blick auf die Kundenbedürfnisse weiterentwickelt. Unseren Kunden ist es wichtig, mit einem vertrauenswürdigen Kooperationspartner zusammenzuarbeiten. Abhängig vom Geschäftsmodell werden verschiedene Zwecke am Markt bedient. Wir fokussieren uns auf die Instandhaltung, Reparatur und Materialpflege sowie auf Profis aus dem Bereich Automation.

 

Rollwa: Durch unsere höchst effiziente e-commerce-Plattform Rutronik24 mit Zugriff auf mehr als eine Million Produkte des gesamten Spektrums der elektronischen Bauteile von mehr als 150 Herstellern als Vertragsdistributor. Wir bieten damit die Bauteileauswahl per Parametereingabe, direkter Herstellerbezeichnung inklusive Ersatzartikelsuche und Vergleichsfunktion. Dazu erhält der Kunde technische Informationen (technische Parameter, Datenblattservice, Änderungsmit­teilungen usw.) per Internetsupport und auch eine persönliche Beratung per Telefon und vor Ort durch unsere Aussendienstmitarbeiter.

 

Welche Vor-/Nachteile haben Ihrer Meinung nach «herkömmliche» Distributoren verglichen mit Amazon?

 

Aqvist: Ich kann nur für Distrelec sprechen. Unsere Kunden erwarten von uns eine breite Produktauswahl, hohe Warenverfügbarkeit und schnelle, flexible Lieferungsmöglichkeiten. Darüber hinaus bieten wir unseren Kunden produktbezogene Services und Weblösungen an. Unsere lokale Präsenz in Europa erlaubt uns, Kunden bestmöglich zu unterstützen. Gemeinsam arbeiten wir daran, Einkaufsprozesse so einfach wie möglich zu gestalten. Wir sind überzeugt: Unsere Ausrichtung auf den Kunden ist ein Wettbewerbsvorteil.

 

Rollwa: Vorteile der Distribution: Lieferung vom Vertragsdistributor, grosse Lagerhaltung, Vorzugsprogamm (vorgezogene Bearbeitung von dringenden Kundenanfragen), Angebotsvielfalt (vom Widerstand bis zum High-End-Mainboard), technischer Support, Terminlieferungen, Abnahmeverträge, Logistiklösungen, Kundenteilenummernverwaltung, PCN-Support, Musterlieferungen, Applikationsunterstützung, Chargenverfolgung, direkter Herstellerkontakt und Unterstützung im Reklamationsfall, Bauteilehandling, ESD-Handling, Drypackhandling, Zertifizierungen, Fehlerdiagnosen durch Hersteller, Zahlungs- und Lieferbedingungen, persönliche Ansprechpartner im Vertrieb durch Innen- und Aussendienstmitarbeiter, Stücklistenbearbeitung, individuelle Angebote, Preise.

 

Nachteil des B2B-Distributors: Bekanntheitsgrad gegenüber Amazon, nur B2B kein B2C, Verpackungseinheiten der Hersteller teilweise zu gross und zu wertig.

 

Wo sehen Sie Amazon im Distributionsbusiness im Jahr 2020?

 

Aqvist: Die Marktlandschaft ist in Bewegung. Wir konzentrieren uns darauf, die besten Servicelösungen und das beste Produktangebot zu bieten – ganz im Sinne unserer Kunden. Es ist unser Anspruch, sie bestmöglich zu unterstützen – heute und morgen. Die künftige Wettbewerbsfähigkeit von Amazon bei Elektronikkomponenten im B2B-Bereich wird von der Sortimentsbreite, der Produktverfügbarkeit, den Lieferfristen und der Beratungsqualität abhängen. Wir haben in diesem Geschäft über 40 Jahre Erfahrung und verbessern uns dauernd. Unsere Kunden schätzen, wie einfach es ist, mit uns ein Geschäft abzuwickeln.

 

Rollwa: Amazon wird seine Nische im Bereich der B2C finden, vor allem bei von Endkunden verwendbaren Bauteilen (CPU, Memory, Display, Boards, Tools usw.). Klassische Bauteile für die Produktion von Endgeräten werden aufgrund der niedrigen Verkaufspreise und entsprechendem Lagerplatzbedarf für Amazon direkt uninteressant bleiben. Zumal in der ersten Kontaktaufnahme von Amazon an uns über Produkte >5,00 Euro pro Stück gesprochen wurde. Bei dieser Preisstellung kommen die wenigsten klassischen Bauteile für Amazon in Frage. Verschiedene Distributoren und Hersteller lehnen eine Zusammenarbeit mit Amazon bislang ab. Ein wesentlicher Grund ist u. a. die Vertragsgrundlage von Amazon und das von Herstellern geforderte Projekthandling und Abrechnungsmodelle wie Ship und Debit, oder auch die POS-Meldung an den Hersteller. Auch das Pricing für B2B-Kunden wird Amazon nicht umsetzen wollen, da die Marge nicht deren Zielmarge entspricht. Im B2C für wertige Consumer-Produkte sehe ich Amazon als ernst zu nehmende Konkurrenz für klassische/etablierte Katalog- und Onlinedistributoren, nicht aber im Bereich der Massendistributoren im B2B-Segment.