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Industrie 4.0 ist Chefsache

Die Technikbausteine für Industrie 4.0 und die «Smart Factory» sind grösstenteils vorhanden. Dennoch weisen Digital Readiness Indices die Fertigungsindustrie als Nachzügler unter den datengetriebenen Branchen aus. Verantwortlich dafür sind fehlende Strategien, Sicherheitsbedenken oder hohe Innovationskosten bei gleichzeitiger Unsicherheit des wirtschaftlichen Erfolgs. Wie kann man diese Hürden überwinden?

 

Welche Bedeutung hat die Fertigungsindustrie in der Schweiz noch? Befinden wir uns nicht schon seit Langem auf dem Weg in die Dienstleistungsgesellschaft? Verliert der Schweizer exportorientierte Maschinen- und Anlagenbau angesichts des starken Frankens dauerhaft Marktanteile an die ebenfalls für Qualität und Präzision anerkannten Industrien in Deutschland oder den USA?

Fakt ist: Die Digitalisierung der Produktionsabläufe krempelt die Branche um. Produkte ändern sich, weil man sie um vorausschauende Wartung oder andere service­basierte Geschäftsmodelle ergänzt. Die Industrie 4.0 schafft Netzwerke von Lieferanten, Produktion, Logistik und Absatz. Statt auf starre Prozessketten mit einer deterministischen Planung setzt man auf intelligente Wertschöpfungsnetzwerke aus Produktion und Logistik. Ein dabei oft verwendeter Begriff ist Smart Factory. Dabei vernetzt man Maschinen und Anlagen mit Hilfe von Software, sodass sie ihre Arbeitsschritte automatisiert aufeinander abstimmen.

Baustein für Baustein zur Industrie 4.0, so wie Deutschland und die USA auch

Bei Industrie-4.0-Projekten muss man neu entwickelte digitale Lösungen respektive Embedded Systems in den Maschinen und Anlagen immer auch mit der bestehenden Backend-IT vernetzen. Ziel sollte es sein, alle relevanten Prozess- und Bewegungsdaten in Echtzeit zu erfassen und zeitnah mit einer Integration der betrieblichen und unternehmerischen Steuerungssysteme wie Supply Chain Management, Manufacturing Execution, Enterprise Resource Planning und Product Lifecycle Management zu verarbeiten.

Die Smart Factory ist im Grunde eine Stufe der Fertigung basierend auf fortschrittlichen Informations- und Kommunikationstechnologien. Die Digital Factory dient der virtuellen Planung von Produkten und Produktionsprozessen, während die Virtual Factory mehrere Smart Factories und intelligente Logistik zu einer Einheit fasst.

Zur Verwirklichung von Smart, Digital und Virtual Factory im Rahmen von Industrie 4.0 ist eine universelle Produktionssprache notwendig und es braucht Standards und Normen als gemeinsame Basis. Deutschland arbeitet an einer industriebasierten Referenzarchitektur, die in den USA ihre Entsprechung in den datenbasierten Vorschlägen des Industrial Internet Consortiums (IIC) findet.

Weitere wichtige Bausteine für die Smart Factory sind bereits vorhanden: Aktoren, Sensoren, innovative Produktionstechnik wie Robotik und 3D-Druck, IT-Infrastrukturen und verschiedene Anwendungen für die Produktions- und kaufmännische Steuerung, zudem Breitbandinternet und die Cloud, über die man verschiedene Systeme vernetzt und dirigiert.

Doch wo steht die Branche in der Umsetzung? Ein Vergleich mit anderen Branchen zeigt, dass die Fertigungsindustrie zurückliegt. In gewisser Weise ist diese schlechte Positionierung zwangsläufig, denn manche Vergleichsindustrien wie Banking sind per se datengetrieben oder in ihrem Ursprung bereits digital, wie etwa die Informatik. Doch es gibt weitere Gründe:

Never touch a running system? Doch, beherzte, clevere Eingriffe sind nötig

Unternehmen schrecken oft vor kritischen Eingriffen in funktionierende und komplexe Produktionssysteme zurück, da sie teure Produktionsausfälle fürchten. Oft sind auch unflexible, monolithische Produktionssysteme im Einsatz, die man um Sonderlösungen erweitert hat und die später schwierig zu verändern sind.

Zudem müssen sich Investitionen in Form von Fertigungsstrassen und Maschinen im Laufe ihrer planmässigen Lebensdauer erst amortisieren, bevor neue Investitionen erfolgen. Unterschiedliche Kulturen der beteiligten Akteure spielen ebenfalls eine Rolle: Werksleiter, IT, Logistiker und Automatisierungstechniker treffen mit verschiedenen Weltbildern, Ausbildungen und Arbeitsmethoden aufeinander.

Laut Einschätzung zahlreicher Experten sind Daten in Zukunft ein mindestens ebenso wichtiger Rohstoff wie Stahl und Eisen. Dabei wirken Daten in zwei Richtungen: Zum einen sind Geschäftsmodelle ohne Informationen über Kundenbedürfnisse und -verhalten nicht möglich. Zum anderen entstehen durch mit Sensoren bestückten Produkte immer grössere Datenmengen. Unternehmen haben grosse Mühe, wichtige Kundeninformationen und Produktstammdaten für unterschiedliche Unternehmensanwendungen wie ERP oder CRM zu pflegen und nutzbar zu machen.

Das Management in der Pflicht

Die Realisierung von Industrie 4.0 ist Neuland. Für alle. Zu den zukünftigen Aufgaben des Managements bei der Konzeption und Realisierung von Industrie-4.0-Projekten gehört die Ausrichtung des gesamten Ökosystems aus Technik, Mensch, Organisation und Prozessen. Drei Bereiche kristallisieren sich hier als besonders bedeutsam heraus:

  • Veränderungen im Engineering und in der IT
  • Security & Safety in der Fabrik der Zukunft
  • Organisation, Kultur und Workforce

Die schnelllebige Welt der IT mit ihren rasch aufeinanderfolgenden Updates muss man mit dem Mindset der «Hardwarewelt», die noch in Lebenszyklen bis 15 Jahren denkt, zusammenführen. Künftig wird das IT-Projektmanagement viele Vorhaben betreuen, die sich auf die Produktion auswirken.

Wissensdomänen werden heterogener Zudem sind immer mehr Fachbeteiligte involviert, dadurch werden die Wissensdomänen immer heterogener und die Zusammenhänge komplexer. Trotzdem müssen die Beteiligten die Projekte wegen Umsatz- und Kostendruck schnell und agil ausführen. Die Komplexität von Software, Vernetzung und Offenheit der Systeme vergrössert auch die Angriffsflächen. Programmierer müssen die Fertigungssteuerungssoftware sowohl für Internetanwendungen als auch in Verbindung mit Unternehmenssteuerungssystemen sicher auslegen und gegen Angriffe von aussen, gegen missbräuchliche Nutzung und gegen Fehler, die sich aus der Komplexität ergeben, schützen. Doch nicht nur organisatorische oder (sicherheits-)technische Aspekte entscheiden über Erfolg oder Misserfolg von Industrie-4.0-Projekten. Die neue Unternehmensorganisation und die veränderte Art der Zusammenarbeit zwingen zu einer intensiven Kommunikation zwischen den Funktionen. Der Wandel ändert Arbeitsabläufe und Anforderungen an die Qualifikationen der Mitarbeitergruppen, vom Fabrikarbeiter bis zum Manager. Um Veränderungen nutzen zu können, braucht es eine Innovationskultur, in der Know-how aus allen Disziplinen zusammenkommt.

Human-to-Machine-Assistenzsysteme

Intelligente Human-to-Machine-Assistenzsysteme mit multimodalen und intuitiven Benutzerschnittstellen unterstützen die Beschäftigten in der Smart Factory. Kollabora­tionssoftware, Anwendung von Assistenzsystemen, Datenanalyse, aber auch Systemdenken und Prozessverständnis sind Schlüsselfertigkeiten, die den Mitarbeitenden mitgegeben werden müssen. Auf betrieblicher Ebene sind Arbeitsorgani­sation, lebenslanges Lernen, Laufbahnmodelle, Teambildung und Wissensmanagement matchentscheidend. Womöglich wird die Einführung neuer Technologien eine Neudefinition des traditionellen Begriffs «Arbeit» nach sich ziehen und auch gesellschaftliche Veränderungen auslösen. Denn das eigentliche Zeitalter der Industrie 4.0 haben wir noch vor uns. 

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