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«An unserer Gesamtwahrnehmung müssen wir arbeiten»

Das international tätige Familienunternehmen Schurter ist ein führender Anbieter von Sicherungen, Gerätesteckern, Geräteschutzschaltern, Eingabesystemen, EMV-Produkten sowie EMS-Dienstleistungen. Zum ersten Mal in der Geschichte steht mit Ralph Müller ein Nicht-Familienmitglied der Gruppe vor. Wie der Start nach dem SNB-Entscheid ausfiel und wohin die Reise geht, sagt er uns im Interview.

 

Ralph Müller, lassen Sie mich mit einer Frage zum aktuellen Thema Mindestkurs beginnen: Welche Auswirkungen könnte dies für Ihr Geschäft bedeuten?

Ralph Müller: Dramatische! Aber solche Situationen bin ich gewohnt. Im Krisenjahr 2009 übernahm ich die Leitung der Schurter AG. Dass die SNB den Mindestkurs irgendwann freigeben würde oder müsste, war allen klar. Nur der Zeitpunkt war überraschend. Ich befand mich im Flieger nach Toronto und erfuhr davon just nach der Landung. Es ging ein gros- ses Raunen durch die Reihen. Aber wir wären naiv gewesen, wenn wir geglaubt hätten, dass unsere Nationalbank immerzu Euros in Milliardenhöhe kaufen würde.

Doch es ist dramatisch für uns – unser Exportanteil liegt bei über 80 Prozent. Wir haben weltweit Produktionsstätten, diese federn die Auswirkungen etwas ab. Zum jetzigen Zeitpunkt analysieren wir die Situation und leiten entsprechende Massnahmen ein. Da die Wertschöpfung in der Schweiz stattfindet, drückt uns dies aufs Ergebnis. Der Werte- und Materialfluss ist heute sehr komplex, daher bedarf es einer genauen Analyse – die Vorteile im Einkauf streite ich nicht ab. Wie dramatisch dieser Entscheid für uns wirklich ist, das sehen wir erst in zwei, drei Monaten – aber bis dahin haben wir unsere Hausaufgaben gemacht.

Skizzieren Sie uns bitte kurz Ihren beruf-lichen Werdegang.

Müller: Ursprünglich habe ich eine Mechanikerlehre gemacht. Danach bildete ich mich berufsbegleitend im Abendtechnikum zum Maschineningenieur weiter. In einem Zweitstudium bildete ich mich zum Betriebs-ökonomen weiter. Mein grosses Plus dabei – alle diese Weiterbildungen absolvierte ich berufsbegleitend. Meine ehemaligen Vorgesetzten realisierten und belohnten meine Anstrengungen mit immer grösseren Verantwortungsbereichen. Vor elf Jahren kam ich zu Schurter. Während dieser Zeit absolvierte ich den Executive MBA und rundete ihn mit einem Aufenthalt an der renommierten Stanford-Universität in den USA ab. Dort merkte ich sehr gut, dass in den Staaten die Uhren anders ticken. Die Willenskraft und die Begeisterungsfähigkeit, die man dort spürt, sind unbeschreiblich.

Sie sind seit 2004 bei Schurter in verschiedenen Positionen tätig. Wie fühlen Sie sich nun als Verantwortlicher für die ganze Gruppe und was ist Ihre Hauptaufgabe?

Müller: Anfangs war ich für die Operations auf der Produktionsseite verantwortlich – die bessere Koordination aller unserer Fertigungsstätten weltweit. Nach fünf Jahren, im 2009, wurde ich Leiter der Schurter AG und bin nun seit Januar 2015 Geschäftsführer der Schurter-Gruppe. Die operativen Tätigkeiten sind in der Schurter AG sehr gut abgedeckt, die Gruppengesellschaften arbeiten sehr autonom mit hoher Eigenverantwortung. Meine Hauptaufgabe besteht unter anderem darin, dafür zu sorgen, dass für alle Gesellschaften die Basis und die Rahmenbedingungen stimmen und hin und wieder sehe ich mich auch als Schiedsrichter. Manchmal sage ich Ja, manchmal auch Nein – immer im Interesse der Gruppe.

Als erstes Nicht-Familienmitglied leiten Sie nun einen Konzern mit 1600 Mitarbeitenden und 200 Mio. Franken Umsatz. Wie führen Sie diese international agierende Gruppe?

Müller: Die Familie Schurter erwartet nicht von mir, dass ich ein Tausendsassa bin, hingegen ist es enorm wichtig, dass ich aus deren Sicht in die Familie passe. Ich agiere im Sinne der Familie – aus den über 10 Jahren als Teil von Schurter kennen mich die Familienmitglieder sehr gut. Primär gilt es, den Blick nach vorne zu richten und die anstehenden Aufgaben bestmöglich zu bewältigen.

Wo steht Schurter heute im Vergleich zu den Mitbewerbern – technisch und wirtschaftlich betrachtet?

Müller: Durch unsere Diversifikation haben wir teils ganz verschiedene Mitbewerber, weltweit. Alles in allem gehen wir alle sehr korrekt miteinander um – man respektiert die Leistung des anderen. Einmal ist Schurter besser, einmal der Marktbegleiter. Diese Situation spornt uns immer wieder an und treibt uns zu Innovationen. Prinzipiell muss uns der Markt wieder mehr spüren, wir müssen verstärkt aus der Follower- in die Leader-Rolle schlüpfen. Das bedarf zusätzlicher Investitionen in das Engineering und in die Technologien. In diesem Bereich sehe ich noch Potenzial. Wir haben bereits den Headcount und das Bildungsniveau gesteigert. Nur so sichern wir alle unsere Arbeitsplätze, heute und in Zukunft.

Zeigen sich diese Anstrengungen auch in den Patentanmeldungen?

Müller: Ja gewiss, das prüfen wir immer wieder. Aber wir definieren uns nicht über unsere Patentanmeldungen. Wir verknüpfen unsere Patentanmeldungen nicht direkt mit unserer Innovationskraft, sprich, je mehr Patente, desto innovativer. Dabei spielt auch die Wertigkeit unserer Produkte ein Rolle. Die enormen Aufwendungen, die eine globale Patentanmeldung verlangt, lohnen sich in den wenigsten Fällen. Dort wo wir bei einem neuen Produkt ein Alleinstellungsmerkmal besitzen, sichern wir uns diese Patentrechte weltweit.

Wo gibt es Ihrer Meinung nach Handlungsbedarf?

Müller: Wir müssen unsere internen Stärken – wir sind auch ein sehr kompetitiver EMS-Anbieter – besser vernetzen und nach aussen in den Markt kommunizieren. Das ist sicher einer unserer USPs – unsere breite Aufstellung, unser grosses Know-how in diversen Disziplinen. Oft werden wir nur als reiner EMV-Hersteller gesehen. Doch es geschieht immer öfter, dass wir von einem Maschinenbauer über verschiedene Kanäle kontaktiert werden. Sei es zum Thema EMV, Gerätestecker, Sicherungen, Schalter, HMI, Touch – überall sind wir ein kompetenter Partner. Beispielsweise sind wir Lieferant von Siemens im SPS-Bereich, diese Touch-Displays stammen von uns. Das dürfen wir mit Stolz erwähnen.

Unseren Kunden müssen wir noch besser klarmachen, dass sie mit Schurter einen Komplettanbieter für ihre Probleme, ihre Projekte haben. Das ist der Grund, weshalb wir den Bereich Solutions aufbauen – dort treten wir als System- oder Lösungsanbieter und nicht nur als Komponentenlieferant auf. Ich sehe darin die Chance, unsere Wertigkeit als Gruppe zu steigern. An dem Solutions-Thema arbeiten wir seit zwei Jahren – mit sehr guten Marktresonanzen. Heute ist es noch keine eigene Division, wenn aber der Solutions-Bereich das gesteckte Umsatzziel bis 2018 erreicht, wird es ab 2019 die neue Division Solutions geben.

Wie verteilt sich Ihr Umsatz auf die Bereiche Dienstleistungen und Produkte?

Müller: Das lässt sich so nicht sagen. Ein Drittel macht die Division Inputsystems, also Touch- und Folientastaturen, und zwei Drittel der Bereich Komponenten. Auf der Komponentenseite haben wir seit Jahren ein eher moderates Wachstum, bei den Inputsystems liegt es im zweistelligen Bereich. Eine sehr erfreuliche Situation.

In welchen Branchen ist Schurter präsent, und wo sehen Sie das grösste Potenzial?

Müller: Der wichtigste Markt für uns ist die traditionelle Industrie – Maschinen- und Anlagenbau, der Medizinalbereich wird immer wichtiger für uns – diese Branche verlangt von uns grosse Anstrengungen, was kundenspezifische Lösungen betrifft. Hatten wir früher ein, zwei kundenspezifische Projekte im Jahr, sind es heute bereits über zehn, mit steigender Tendenz. Dort sehe ich grosses Potenzial, ebenso im Automotive-Bereich – die E-Mobilität spielt da eine grosse Rolle sowie in der Aviatik und der Luft- und Raumfahrt.

Was muss die Schweizer Industrie Ihrer Meinung nach tun, um auch künftig erfolgreich zu sein?

Müller: Wir müssen uns unserer Stärken und Werte noch bewusster werden und mehr Selbstsicherheit im globalen Auftritt zeigen. Bei Trendthemen müssen wir selbstbewusster auftreten. Daneben sollten wir unbedingt unser duales Bildungssystem weiter hegen und pflegen – und die Qualität nicht ausser Acht lassen. Über all dem müssen wir unsere Kosten im Griff behalten. Und unsere international anerkannte, hohe Leistungsbereitschaft muss auf jeden Fall hoch bleiben.

Sie haben einen Wunsch frei – wie lautet dieser?

Müller: Das, was ich mir zum Amtsantritt in mein Büchlein geschrieben habe – und wenn Sie mich fragen, was dort steht – es bleibt mein Geheimnis !

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