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Schweizer KMU sind parat – nur der Nutzen ist oft nicht klar

Industrie 4.0, Internet of Things, Cloud – diese Begriffe sind momentan in aller Munde. Meist fehlt jedoch noch ein einheitliches Verständnis darüber, was sie bedeuten, wie sie in der Industrie umzusetzen sind und vor allem, welchen Nutzen der Anwender davon hat. Unsere Expertenrunde bringt Licht ins Dunkel und zeigt, wo die Schweizer Industrie steht.

 

Die Situation – die Facts

Man kann sich das Internet of Things, IoT, als die intelligente Version einer Machine-to-Machine-(M2M)-Kommunikation vorstellen, die mit einer sensorbasierten Datenerfassung und einer prozessorbasierten Entscheidungsfindung gekoppelt ist. Keith Nosbusch, CEO von Rockwell Automation, spricht von Connected Enterprises, die uns in Zukunft helfen werden, unseren Lebensstandard zu sichern und weiter zu verbessern – in Anbetracht der zu erwartenden Zunahme der Weltbevölkerung auf 7,6 Milliarden bis 2020 eine Herausforderung.

Dazu müssen die Industrieländer die globale Produktionskapazität in allen Bereichen ausbauen. Man spricht hier von Investitionen in Billionenhöhe! Innerhalb des IoT-Ökosystems sollen MCUs und andere Verarbeitungssysteme riesige Mengen an erfassten Informationen lernen und sortieren, um sinnvolle Ergebnisse entweder anderen Systemen oder den Menschen zur Verfügung zu stellen.

Riesige Anforderungen an Elektronikindustrie

Auch wenn langfristige Voraussagen erhebliche Abweichungen aufweisen, ist man generell der Meinung, dass das IoT bisher nicht bekannte Anforderungen an die Elektronikindustrie stellen wird. Das IoT ist dabei, für IP-Anbieter, Silizium-Foundries und Softwaredesigner in den kommenden Jahren eine Tür zu neuen Produktentwicklungen für in der Tat Milliarden von verbundenen Geräten zu öffnen.

Laut einer aktuellen Prognose des US-Netzwerkspezialisten Cisco wird sich die Zahl aller am Internet hängenden Geräte innerhalb von nur fünf Jahren verdoppeln: So soll das Internet der Dinge im Jahr 2020 insgesamt 50 Milliarden Smartphones, PCs, Sensoren und sonstige Geräte umfassen. 2015 beträgt die entsprechende Zahl gerade mal 25 Milliarden. Bandbreite gibt es bald genug. Hard- und Software sind verfügbar. Ein Thema ist, die vorhandenen Systeme, Maschinen, Anlagen usw. IoT-tauglich zu machen und neue Systeme, Geräte, Maschinen IoT-tauglich zu bauen.

Der Markt – die Chancen

Alle sprechen davon, doch wo sind die Umsetzungen? Marco Guidali, Projektleiter für Steuerungs- und Messtechnikentwicklung bei V-ZUG, sieht in IoT für sein Unternehmen grosse Chancen. Seinen Worten nach möchte V-ZUG in diesem Markt aktiv dabei sein und den Kunden entsprechende Geräte anbieten. Eric Roth beschäftigt sich bei Zühlke mit industrieller und Embedded-Software. Seine Business-Unit baut Maschinensteuerungen, Gerätesoftware und vor allem Embedded-User-Interfaces. Immer mehr Kunden interessieren sich für das Thema IoT bzw. Industrie 4.0 – Zühlke ist bereit. Der Physiker Johannes Gassner jagte früher Elementarteilchen am CERN. Heute leitet er bei SCS das Department «Measure and Decide», welches neben dezidierten Mess- und Sensorsystemen auch spezielle Algorithmen für Entscheidungslogiken entwickelt. Die Themen Industrie 4.0 bzw. IoT werden auch bei SCS immer häufiger von Kunden angefragt. Den ersten Kurzstatements nach bieten diese Themen echte Chancen für die Schweizer Industrie.

Begriffserklärung – was steckt hinter Industrie 4.0, IoT und Cloud?

«Ich sehe hinter dem Begriff Industrie 4.0 eine Art Automatisierung in der Fertigungsindustrie, hin zu einer optimierten, effektiven Logistik», sagt Marco Guidali, und ergänzt sofort, «aber ich bin kein Experte auf diesem Gebiet.» Beim Thema IoT ist das Statement des Elektroingenieurs klar: «Es ist die Ausstattung möglichst vieler elek­trischer Geräte mit der Fähigkeit, via Internet zu kommunizieren – nicht nur mit den Menschen, sondern auch untereinander.» Als Stichworte nennt er Smart Grids, Smart Home, Smart Metering. Nutzer dieser Lösungen sieht Guidali im Privaten wie im Business – Parkplatzbewirtschaftung, Fernüberwachung von Systemen et cetera. Unter Cloud versteht der Entwickler das Ablegen der Daten im Internet – was prinzipiell zwar interessant und effektiv ist, aber in letzter Zeit speziell wegen der NSA-Affäre mit gewisser Skepsis gesehen wird. «Diese Abhörskandale haben den User aufgeschreckt – Vorsicht prägt momentan das Verhalten.» Seiner Meinung nach ist es für den Betroffenen sehr schwierig abzuschätzen, ob die persönlichen Daten sicher sind oder nicht – da besteht laut Guidali auf jeden Fall Aufklärungsbedarf. «Schon beim Gerätedesign steht die Sicherheit daher im Fokus.»

Johannes Gassner: Ein Marketing- konzept der deutschen Regierung

«Für mich ist Industrie 4.0 einfach ein Schlagwort, ein Marketingkonzept der deutschen Regierung», sagt Johannes Gassner. Die Idee dahinter sei die Bündelung der technologischen Trends und daraus eine Vision zu entwickeln, wie das produzierende Gewerbe in Zukunft aussehen könnte. Der Physiker findet Industrie 4.0 eine gute Sache, die Branche braucht Werbung. «Industrie 4.0 tut Europa, tut der Schweiz gut.» In der Cloud sieht Gassner die natürliche Weiterentwicklung der IT-Systeme. Er sieht darin ganz neue Geschäftsmodelle, da die Cloud den Zugriff auf die Daten von überall her zulässt – Stichwort «Service of Everything». «Da liegt grosses Potenzial drinnen. Sehr schön finde ich den Zusammenschluss der Akademia mit der Industrie und dass sich daraus via Referenzprojekte ein echter Markt auftut.»

Der Erfolg des Industrie-4.0-Konzepts hängt stark davon ab, wie offen der Markt bleibt. Proprietäre Protokolle und Schnittstellen können ebenso hinderlich sein wie eine zu umfassende Normierung. «Wie und wie schnell sich IoT in der Industrie durchsetzen wird, hängt letztlich vom Mehrwert ab, welcher für den Endkunden erreicht werden kann.»

Eric Roth: Industrie 4.0 ist Umsetzung des IoT in der Produktion

«Für mich ist Industrie 4.0 die Anwendung des IoT in der industriellen Produktion», meint Eric Roth. «Unter den verschiedenen Aspekten von Industrie 4.0 ist die vertikale Integration wohl diejenige, die den unmittelbarsten Nutzen stiftet. Ich meine damit die Verknüpfung der Produktions-IT mit der Unternehmens-IT.» Als Vision sieht er die Flexibilisierung des Maschinenparks. Dieser lasse sich so innert kürzester Zeit neu konfigurieren – wie schnell das Realität wird, kann er nicht sagen. Was wirklich dahintersteckt, wird man seiner Meinung nach noch sehen. Roth: «Vernetzung ist für mich der Überbegriff unseres heutigen Themas. Und die Cloud ist in diesem Kontext eine Technologie, die heute Standard ist – viele industrielle Firmen setzen diese Art der Datenspeicherung bereits erfolgreich ein.» Laut Eric Roth sind manche Aspekte von Industrie 4.0 bereits Realität, andere sind eher ein Hype. IoT sei ein alter Begriff – er geht zurück auf Kevin Ashton, der ihn erstmalig 1999 erwähnte, und Cloud sei ein Begriff, den die Industrie seit rund fünf Jahren standardmässig einsetzt. «Über allem steht der Wunsch der Industrie nach Vernetzung, mit dem erklärten Ziel, effizienter zu werden und innovative Lösungen anzubieten», betont Eric Roth.

Hoher Ausbildungsstand in der Schweiz ist sehr wertvoll

Bei allen diesen Themen stehen aufwendige Software und Simulationen dahinter, da sind sich alle in der Runde einig. Es ist höchst anspruchsvoll, Algorithmen zu programmieren, mit denen der Kunde einfach und sicher seine Maschinen via Leitstand individuell konfigurieren kann. Die Frage lautet: Wie bilde ich diese Realität, den Prozess in ein leistungsstarkes Datenmodell ab? Und darin liegt eine der Stärken des Werkplatzes Schweiz, denn das Ausbildungsniveau ist hier sehr hoch. «In der Kompetenz, speziell in der vertikalen Integration, liegen die Chancen für uns als typisches KMU-Land, hier können wir uns im internationalen Vergleich profilieren», ist sich Johannes Gassner sicher, «das ist ein grosser Vorteil für uns.» Als Beispiel nennt er den Medizinmarkt, wo die Schweiz gemäss jüngsten Swissmem-Zahlen Waren im Wert von 9,3 Mrd. Franken exportiert – gefolgt von den Mess-, Prüf- und Regelapparaten mit 3,7 Mrd. Franken.

Industrie 4.0 in der Praxis

Auf die spannende Frage, ob es denn konkrete Industrie-4.0-Produkte aus der heimischen Maschinenproduktion gibt, antwortet Eric Roth: «Industrie 4.0 interessiert speziell diejenigen Schweizer Maschinenbauer, die für den deutschen Markt produzieren. Diese Firmen fragen sich, was sie tun müssen, um in Deutschland Erfolg zu haben – gibt es Standards, Vorschriften? Ich muss hier die Antwort schuldig bleiben.» Ob es in Deutschland entsprechende Regeln gibt? Die Experten meinten eher nein, obwohl Deutschland natürlich viel näher dran sei am Thema.

Standardisierung ist ein Muss für Indus­trie 4.0, darüber ist sich die Gesprächsrunde mehrheitlich einig. Wenn auch Johannes Gassner meint, dass es bei Industrie 4.0 ähnlich läuft wie beim iPhone – der Marktleader bestimmt die Standards. Wer eine App programmieren will, muss nach dessen Regeln spielen: «Ich bin kein Experte für Normen, doch die Herausforderung in diesem komplexen Thema wird sein, das richtige Mass der Standardisierung zu finden. Wenn die Normierungswut ausufert, kann es gut sein, dass wir noch lange auf einen Standard warten.» Statt Normen von IEEE oder IEC können Normen auch vom Markt kommen. Aber es braucht Standards. Der mobile Markt wäre nicht dort, wo er heute ist, gäbe es nicht die zwei, drei Marktführer, die die Standards definieren.

Ganz anders sieht die Situation im Hausgerätemarkt aus. Dort gibt es zehn, zwanzig dominierende Anbieter. Will man Geräte unterschiedlicher Anbieter ins Heimnetzwerk einbinden, müsse dies bereits im obersten Level, im Befehlssatz, passieren, betont Guidali: «Es gibt zwar Normengremien, die sich dieser Sache annehmen, aber fertige Normen gibt es noch keine.»

V-ZUG bringt Anfang 2015 IoT-taugliche Backofen und Steamer auf den Markt. Erfolg werden diese Systeme laut Marco Guidali erst haben, wenn die Heimnetzwerke auf Standards basieren und der Endkunde ganz einfach sein IoT-taugliches System «einstecken» kann: «Es muss so einfach werden, wie wenn Sie den Stecker ihres Radios in die Steckdose stecken.» Der Erfolg eines Systems hängt nach Meinung aller von Standards ab. Ebenso sehen die Anwesenden, dass der Eintritt von Google in den Smart-Home-Markt den kleinen Anbietern gute Chancen bietet. «Der Riese Google setzt durch seine Dominanz faktisch einen Standard», so der V-ZUG-Entwickler. Die Geräte, die V-ZUG in Kürze in den Markt bringt, basieren auf An­droid und iOS: «Bei unseren Geräten kann der User auf Wunsch seine eigene App programmieren, wir bieten eine offene Kommunika­tionsschnittstelle in unseren Geräten an.»

Das Thema Sicherheit ist nach wie vor heiss

Doch wie sieht es mit der Sicherheit aus? Kann der «böse» Nachbar den Backofen zum Laufen bringen und dann das Haus abbrennen oder den Herd abstellen? V-ZUG unterbindet dies gleich zweifach. Zum einen lassen sich die Geräte nur von Hand in Betrieb nehmen, zum anderen funktionieren diese Apps laut Guidali nur innerhalb der eigenen vier Wände. «Den Schritt in die Cloud haben wir noch nicht gewagt – es ist sicherheitstechnisch sehr anspruchsvoll, wenn man von überall her auf unsere Geräte zugreifen kann. Wir haben zu wenig Kompetenz in diesem Thema. Prinzipiell sollten meiner Meinung nach die Vernetzung der Systeme und Geräte Sinn machen – nicht alleine nur machbar sein.» Neben der Sicherheit ist der Nutzen der Vernetzung ein grosses Thema. Wenn man nur seinem technischen Ehrgeiz folgt, schadet man der Vernetzungsidee: «Es sollte der Entlastung des Users dienen», betont Guidali. Im Bereich Service, Wartung, Diagnose sieht der Fachmann grosse Chancen – wenn man weiss, wo ein Gerät steht und wo Probleme liegen, lässt sich Geld sparen.

Das Schwierige an der Vernetzung ist die Tatsache, dass Ursache und Wirkung oft weit auseinander passieren. Johannes Gassner: «Einfache Merkmale sind leicht aus der Ferne zu kontrollieren. Aber schleichende Prozesse, wie eine langsam nachlassende Dichtung, lassen sich elektronisch nur mit sehr viel Sensorik und ausgefeilten Algorithmen – sprich mit grossem Aufwand – detektieren».

Ein weiterer zentraler Punkt beim Vernetzungsthema ist das Aufkommen der Big Data. Eric Roth: «Im Datensammeln sehe ich schon einige Benefits für V-ZUG beispielsweise. Je mehr Informationen über die Geräte vorliegen, desto einfacher lassen sich Optimierungen in der Produktion einfliessen. Was es braucht sind Datenexperten, die die relevanten Erkenntnisse in den Datenbanken auch finden.» Das Stichwort heisst hier Machine-Learning. Bei Turbinen zum Beispiel fallen Terabyte von Daten an, doch welche sind die, die über das Go oder No-Go der Turbine entscheiden? Johannes Gassner: «Es geht hier um die berühmte Nadel im Heuhaufen.» Trivial sind diese Analysen nicht, es braucht sehr intelligente, erfahrene Fachleute, die anhand aufwendigster Datenmodelle und mathematischer Formeln die richtigen Ergebnisse erzielen. In den Staaten gibt es dieses Berufsbild bereits.

Mehrere Gründe für den noch sehr kleinen Markt

Doch weshalb kommen so wenige IoT-taugliche Geräte auf den Markt? Ist es der (Mehr-)Preis? Ist es die fehlende Technik? Gibt es andere Gründe? Marco Guidali: «Bereits 2005 brachten wir IoT-taugliche Waschmaschinen auf den Markt, diese liefen über den KNX-Bus. Damals kostete dieses Feature rund 1000 Franken mehr – ohne das dafür nötige, auch recht teure KNX-Netz. Diese Maschine kauften damals nur sehr technikaffine Konsumenten.» Heute schliesst man die V-ZUG-Geräte wie einen PC via TCP/IP-Kabel an – das ist sehr einfach und viel günstiger, wie der Entwickler weiss: «So ein IoT-Backofen wird circa 180 Franken mehr kosten – bei einem Basispreis von 3000 bis 4000 Franken ein sehr moderater Mehrpreis.»

Und wie sieht die Situation mit Blick auf Industrie 4.0 aus? Auf der Hannover Messe 2012 sprachen alle von Industrie 4.0, man konnte meinen, dass es «morgen» bereits Standard und auf breiter Basis verfügbar wäre. Weit gefehlt. Es ist, wie bereits mehrfach erwähnt, ein sehr anspruchsvolles Unterfangen. Es brauche aber Fachleute von hoher Qualität und mit sehr viel Fachwissen, so Gassner. Als Beispiel brachte er den Rückspiegel in einem PW. Früher handelte es sich dabei um einen Metallrahmen mit einem Spiegelglas drinnen. Heutige Rückspiegel sind sensorgesteuert, sind intelligent und erkennen Fussgänger: «Die mechanische Werkstatt muss innert kurzer Zeit zur Hightech-Schmiede mutieren oder externe Hilfe beiziehen. Es braucht Know-how und spezielles Fachwissen.»

Ein Hightech-Arbeitsplatz generiert bis zu 15 Servicestellen

Eine praktisch unlösbare Herausforderung. Fachkräfte sind Mangelware, wobei wir hier in Europa und speziell in der Schweiz noch gut dastehen. «Aus den USA weiss man, dass im Hightech-Bereich ein Arbeitsplatz in der Produktion bis zu 15 Arbeitsplätze im Service generiert, und an diesem Hebel müssen wir ansetzen. Wir müssen Werbung machen für die herstellenden Gewerbe. Dort könnte die Politik mit einer Ausbildungsoffensive der Wirtschaft einen sehr guten Dienst erweisen. Naturwissenschaftler, Ingenieu­re, Mathematiker, Chemiker usw. – diese Berufe sichern uns unsere Zukunft und Unabhängigkeit.» Für unsere Industrie und Wirtschaft sei es laut Gassner besser und wertvoller, wenn junge Menschen sich diesen anspruchsvollen technischen Aufgaben stellen würden, als auf dem Finanzplatz mit einer Überqualifikation zu enden.

Wenn ein traditioneller, mehrheitlich kleiner Schweizer Maschinenbauer in die Vernetzung einsteigt, ist das zwar technologisch keine Challenge, aber für die betroffene Firma ist es eine ganz neue Aufgabe. Eric Roth: «Es braucht Skills und Erfahrung, über die viele KMU noch nicht verfügen. Zudem stellt sich für viele Unternehmen die Frage, ob es sich lohnt, diese wegen wenigen Maschinen aufzubauen. Die Frage, die sich nun stellt: Wie bringt diese Firma nun ihre Maschine in die Cloud? Eine denkbare Antwort könnte ein Brain-Pool sein, den man bei Bedarf anzapfen kann. Die Swisscom bietet speziell für KMU solche IoT-Lösungen an», wie Marco Guidali weiss, «sie rührt ordentlich die Werbetrommel, um KMU auf dem Weg in die Cloud, in die Industrie 4.0, zu supporten.»

Die Daten gehören dem Besitzer

Interessant ist auch die Frage, wie es aussieht mit der Vernetzung der Maschinen: der Hersteller, der Betreiber, der Produktionsleiter – alle wollen aktuelle Daten – der eine aus Maintenance-Gründen, der andere will den Durchsatz wissen usw. Doch das ist ein sehr sensibles Thema, so Roth: «Der Produktionsleiter will nicht, dass die ganze Welt erfährt, wie effizient seine Anlage arbeitet. Auch wünscht der Eigentümer der Anlage nicht, dass der Hersteller automatisch in den Besitz dieser Daten gelangt. Die Vernetzung ist machbar, das sensible Thema ist und bleibt, wem die Daten gehören.» Einig ist sich die Runde, dass die Daten dem Besitzer gehören, was in der Regel auch so realisiert wird – und nur er alleine entscheidet, was mit den Daten geschieht. Interessant beim Thema «Wem gehören die Daten», ist das speziell in der Investitionsgüterindustrie immer häufiger anzutreffende Leasing. Hier gehört die Maschine faktisch der Bank – ergo auch die Daten? Der Betreiber will diese aber für sich behalten – aus Konkurrenzgründen usw. Ein Thema, das sicher noch für Diskussionen sorgen wird.

Security hat die Schweizer Maschinenindustrie noch nicht erreicht

«Wir realisieren viele Enterprise-Lösungen, beispielsweise für Banken und Versicherungen – diese sind der Industrie in Sachen Security voraus», sagt Eric Roth, «die Industrie wird in wenigen Jahren auch so weit sein. Oft müssen wir erst die Awareness dafür schaffen. In diesem Prozess stecken wir.» Heute sind die meisten Maschinen singuläre, isolierte Systeme, ohne Vernetzung. Sobald Industrie 4.0 oder IoT kommen, wird jeder Maschinenbauer sich dem Thema Security annehmen, davon sind die Gesprächsteilnehmer überzeugt. Der Anteil Kunden, der heute bereits ein Sicherheitskonzept in einem Projekt mitbringt, nimmt stetig zu, wie Eric Roth ausführt. Marco Guidali erklärt, dass die derzeitigen V-ZUG-Lösungen nur im Heimnetzwerk funktionieren und nicht via Cloud: «Für eine Cloud-Lösung bräuchten wir spezielle Cloud-Server, spezielle Sicherheitsmechanismen – das würde weitere Kosten genieren.» Doch der Austausch der Haustechnik – Storen, Heizung, Herd, Kühlschrank – via Cloud mit dem Besitzer wird kommen, da ist sich Guidali sicher. Es sei eine Frage der Zeit, der Marktanforderungen, des erkennbaren Nutzens und des Know-hows. Auch hier ist Security das zentrale Thema.

Blackout und Resync sind die Schreckgespenster der Energieversorger

Die Security-Anbieter sagen, sie hätten alles im Griff. «Da würde mich die Meinung eines Hackers oder Sicherheitsexperten interessieren», so Marco Guidali, «wie sicher ist sicher – kein Hauseigentümer möchte, dass ein Einbrecher in seine Haustechnik eingreift und sich so ganz einfach Zutritt verschafft, während der Besitzer im Urlaub weilt.» Nicht vorstellen darf man sich, wenn kriminelle Hacker auf einmal alle Waschmaschinen, Tumbler, Backöfen und Heizungen in der Schweiz via Cloud anstellen würden – ein Blackout des Stromnetzes wäre sicher. Solche Gedanken veranlasste V-ZUG, vorerst den Zugriff auf die Haushaltsgeräte nur innerhalb der Wohnung zuzulassen. Neben dem Blackout ist auch der Resync eines nationalen Stromnetzes eine echte Herausforderung – diese Situation sei sehr schön beschrieben in dem Besteller «Blackout» von Marc Elsberg, wie Gassner ausführt: «In der Energiebranche ist der Resync das Schreckgespenst – die Vernetzung bietet viel, man braucht sie – Stichwort Smart Grids –, aber sie birgt auch viele Risiken, die man nicht unterschätzen darf.»

Sind die Schweizer KMU überfordert?

Es stellt sich anhand der Komplexität des Themas die Frage, ob die Schweizer KMU überhaupt die richtigen Partner sind – ist es zu teuer, zu schwierig, oder weshalb gibt es praktisch keine Schweizer IoT-Produkte? Eric Roth: «Schweizer KMU investieren erst, wenn der direkte Nutzen erkennbar ist.» Nur wenn sich bei jedem Projekt der Benefit klar darlegen lässt, wird es realisiert. Der V-ZUG-Mitarbeiter sieht in dem Vernetzungsthema auch eine wirtschaftliche Sache – derzeit investiert der Gerätehersteller in diese IoT-Lösungen, doch noch gibt es keinen ROI. «Noch geht es ums Image – aber wenn die Post abgeht, wollen wir an der Spitze mit dabei sein.»

Die Frage ist, sind es die Grossen oder die Kleinen, die das Thema pushen – es brauche eine gewisse Grösse, meint Gassner, um das Thema zeitnah umzusetzen. Der Vorteil der KMU sind die flachen Hierarchien. «Innovationen kommen aus der Technik und die kleinen Firmen haben die Flexibilität, rasch zu agieren.» Davon ist auch Guidali überzeugt. Ein Ansatz, das Thema beschleunigt in die KMU-Welt zu portieren, könne auch durch Zukäufe geschehen. Die meist kapitalkräftigen, eigentümergeführten KMU könnten so von Start-ups sehr schnell das nötige Vernetzungswissen akquirieren. Johannes Gassner: «In den USA sind Merger & Acquisitions ein Klassiker – ich kaufe Know-how und muss so nicht alle Feh- ler selber machen. Oder ich vertraue auf einen professionellen Dienstleister mit entsprechender Technologieerfahrung.» Die lo- kale Wirtschaft muss schneller reagieren  – dreissig Jahre lang die gleiche Maschine bauen und erfolgreich sein, sei vorbei, da ist sich der Experte sicher.

Warum gibt es so wenig vernetzte Geräte?

Am Ende der spannenden, interessanten Gesprächsrunde stellte sich die Frage: Warum gibt es noch so wenig vernetzte Geräte in der Schweiz?

Marco Guidali: «Es ist noch eine neue Technologie, die Firmen brauchen Zeit, diese Technik in ihre Systeme zu integrieren. Auch fehlen bisher klare Anforderungen vom Markt. Viele Konsumenten wissen noch gar nicht, was sie mit einem vernetzten Herd machen sollen – sie sehen noch keinen Nutzen.»

Johannes Gassner: «Die Unwissenheit überwiegt die Bedürfnisse, damit ist auch eine gewisse Angst verbunden. Erst wenn der Kunde den Nutzen sieht und spürt, wird sich diese Situation ändern.»

Eric Roth: «Die Vernetzung von Geräten ist kein Selbstzweck, sondern muss in jedem Fall einen ganz konkreten Nutzen erbringen. Für manche Aspekte von Industrie 4.0 und IoT ist dieser offensichtlich, für andere noch nicht.»